Warum haben sich Ungarn und Polen von den liberalen Werten des Westens so radikal losgesagt? In ihrem viel diskutierten Essay „Das Licht, das erlosch“ geben Ivan Krastev und Stephen Holmes frappierende Antworten voller Tücken.
Viktor Orbán war einmal ein Liberaler. Ein Dissident, verliebt in die Freiheit, in die Verheißungen des Westens und eines geeinten Europas. Zum Studium in Oxford verhalf ihm ein Stipendium von George Soros. Heute sieht sich Ungarns Premier selbst als „Konterrevolutionär“, den Förderer von früher als Staatsfeind Nummer eins. Die EU ist ihm nicht geistige Heimat, sondern Gegner. Seine „illiberale Demokratie“ ist keine Demokratie mehr, die Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt. „Sie haben ein Beispiel gegeben, und wir lernen von Ihnen“, sagt sein polnisches Pendant Kaczyński.
Im Westen sind viele entsetzt über diese Kehrtwenden, drei Jahrzehnte nach der hoffnungsfrohen Wende in Osteuropa. Die einen diagnostizieren, von oben herab: Die Osteuropäer seien vom Tempo der Veränderung überfordert, oder es fehle ihnen die demokratische Reife, weil sie zu lange in Diktaturen gelebt haben. Die anderen fragen bange: Was haben wir selbst falsch gemacht?
Für sie haben die Politologen Ivan Krastev und Stephen Holmes ihr viel diskutiertes Buch „Das Licht, das erlosch“ geschrieben. Ein Bulgare und ein Amerikaner, der lange vor Ort geforscht hat, versuchen eine Innensicht des mentalen Wandels. Ihr Leitmotiv: die letztlich unheilvolle Nachahmung des Westens – nicht der Marktwirtschaft als eines Mittels für Wohlstand, sondern seiner Ziele, Prinzipien und moralischen Ideale.