Das Gipfeltreffen in Paris sollte eine Lösung für den Krieg in der Ostukraine finden. Eine vollständige Waffenruhe im Konfliktgebiet soll bis Ende 2019 fix sein, weitere Gefangene sollen freikommen. Der politische Dialog gestaltete sich schwieriger.
Moskau/Paris. Am Pariser Verhandlungstisch saßen sie einander dann endlich gegenüber: Kreml-Chef Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij. Flankiert wurden sie von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Gastgeber Emmanuel Macron. Hinter den Kulissen schüttelten Putin und Selenskij einander die Hand. Für die Öffentlichkeit war dieser Moment jedoch nicht bestimmt.
Die Ukraine und Russland stehen seit mehr als fünf Jahren im schweren Konflikt. Der von Frankreichs Präsident Macron initiierte Normandie-Gipfel am Montag sollte helfen, den Krieg in der Ostukraine zu beenden. Die von Moskau annektierte Halbinsel Krim war dabei nicht einmal Gesprächsgegenstand. Schon vor Beginn des Treffens im Élysée-Palast war klar, dass ein Termin nicht ausreichen würde.
Gefangenenaustausch und Entminung geplant
Die Abstimmung einer gemeinsamen Gipfelerklärung war schwierig und zog sich bis in den späten Abend. Einzelne Punkte wurden bei der Pressekonferenz bekannt: Eine vollständige Waffenruhe soll bis Ende 2019 kommen. Man einigte sich auf einen weiteren Gefangenenaustausch bis Jahresende nach dem Prinzip „Alle gegen Alle“. Auch der Rückzug des Militärs soll an drei weiteren Punkten soll bis Ende März 2020 durchgeführt werden; Entminungsarbeiten sollen folgen. Putin erwähnte die Einrichtung weiterer Checkpoints für die Zivilbevölkerung. Die Beobachtung der OSZE soll erleichtert und ausgedehnt werden. Es war nicht unmittelbar klar, welche Punkte sich in der Abschlusserklärung wiederfinden würden. Eine vorsichtig optimistische Stimmung machte sich im Élysée-Palast breit, wiewohl nicht klar war, ob alle Maßnahmen tatsächlich so zügig umgesetzt werden würden.
Beim Thema der geplanten Lokalwahlen im Donbass fand man keinen Kompromiss. Die Ukraine besteht auf Sicherheitsgarantien vor der Abhaltung von Lokalwahlen in den Separatistengebieten. In vier Monaten soll das Thema erneut in der Runde sondiert werden.
„Gut“ sei das Gespräch mit Selenskij gelaufen, sagte Putin über das bilaterale Treffen, er sei „zufrieden“. Die Verhandlungen erachtete er als „sinnvoll“, er sprach von einer „Erwärmung“ der Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland. Der mitgereiste ukrainische Innenminister Arsen Awakow sagte: „Aus staatlicher Sicht läuft alles gut.“
Im Streit um den Transit von russischem Gas durch die Ukraine wurde keine Einigung erreicht. Man werde weiterverhandeln, hieß es. Abseits vom Donbass-Konflikt bahnte sich zuletzt ein neues Problem für Europa an: Moskau und Kiew fanden bisher kein Einvernehmen über die Fortführung des Gastransits. Für die Ukraine stehen Budgeteinnahmen auf dem Spiel – für Gasprom die Liefersicherheit nach Europa.
Schwierige Schritte zur Konfliktlösung
Für Putin bot die Teilnahme am Normandie-Gipfel Gelegenheit, Gesprächsbereitschaft für eine Lösung des Konflikts zu demonstrieren. Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand die Implementierung des 2015 geschlossenen Minsker Abkommens. Darin sind der Austausch von Kriegsgefangenen und ein Waffenstillstand festgeschrieben. In ihm sind auch mehrere Punkte zur politischen Konfliktlösung festgelegt, unter anderem Lokalwahlen in den von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebieten. Bisher war man sich nicht einig, unter welchen Bedingungen diese stattfinden sollen. Denn – vereinfacht gesagt – bestimmt der Modus der Wahl die künftige Ordnung im Donbass.
Moskaus und Kiews Sicht auf das Minsk-Abkommen unterscheidet sich, ebenso wie die Ziele, die sie verfolgen: Moskau will seinen Einfluss im Konfliktgebiet erhalten, Kiew möchte die Kontrolle über sein Staatsgebiet zurück. Je länger der Konflikt andauert, desto schwieriger wird eine Lösung. Denn vor Ort schaffen Separatisten und Kreml Fakten, wie etwa durch die Ausgabe russischer Pässe an die rund zweieinhalb Millionen Bewohner der abtrünnigen Gebiete. 125.000 Ukrainern sind bisher russische Pässe ausgehändigt worden. Eine ähnliche Politik verfolgt der russische Staat in den „eingefrorenen Konflikten“ in Abchasien, Südossetien und Transnistrien.
Moskaus machtpolitischer Zugriff auf seine Nachbarschaft steht der übergreifenden europäischen Aussöhnung im Wege, wie Emmanuel Macron sie bekanntermaßen anstrebt. Dass Frankreichs Präsident Putin umwirbt, stärkt dessen Position – und nicht unbedingt dessen Bereitschaft, einen Ausgleich mit dem Westen zu suchen.
Putin und der Mord in Berlin
Denn Europa und Russland verbindet nicht nur der Ukraine-Konflikt. Nur ein paar Tage vor dem Normandie-Treffen kam es zu diplomatischen Spannungen zwischen Berlin und Moskau in der Causa des im August in Berlin ermordeten Tschetschenen.
Nach Erkenntnissen Berlins sollen russische staatliche Stellen den Auftrag zur Ermordung des früheren Tschetschenien-Kämpfers gegeben haben. Unabhängige journalistische Recherchen zeichnen gar das beunruhigende Bild eines russischen Agenten-Netzwerks in Europa für tödliche Einsätze. Berlin musste reagieren und wies zwei russische Diplomaten aus. Moskau wird seine Vergeltungsmaßnahmen erst nach dem Gipfel ankündigen. Putin erklärte während der Pressekonferenz, dass nach einem ungeschriebenen Gesetz spiegelgleiche Schritte unternommen werden würden. Putin: „Ihr schickt unsere Diplomaten weg, wir weisen eure aus, das ist alles.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2019)