Querwaldein in Nordböhmen
Tschechien

Liberec: Atemlos durch den Wald

Rund um die nordböhmische Stadt Liberec durch wirbelnden Schnee stapfen. In einem James Bond-artigen Gipfelhaus Schweinsbraten essen. Und mit dem Schlittenhund andere Wintersportler überholen.

Der Schneesturm tost und schmeißt die fetten Flocken vor dem Fenster hin und her. Es klappert und poltert rund um den markanten Bau am Gipfel des Ještěd“ (Jeschken), einem sogenannten Rotationshyperboloiden. Eine Architektur, die an das Domizil eines Bond-Bösewichts erinnert. An einen überdimensionalen Alu-Hut. Oder an ein un-aerodynamisches Raumschiff aus der Puppenkiste, das gerade durch die tschechische Winternacht zu fliegen scheint. Sicher ist: Das exzentrische „Hotel Ještěd“ mit Fernsehturm wurde zum tschechischen Bauwerk des 20. Jahrhunderts gekürt. Architekt Karel Hubáček hatte es 1966 geplant.

An einem schneeumwirbelten Abend hat man dort kaum die Aura von 2019. Während die Kellnerin im Restaurant Schweinsbraten mit Semmelknödeln serviert, könnte man allein durch die Lampen, die Tische, die Wandverkleidungen, die hängenden Sitzeier im Gang, ja all das Retro-Interieur schnell die zeitliche Orientierung verlieren. Es könnte auch 1973 sein, das Jahr der Eröffnung des Hotels am Berggipfel des Ještěd, würden nicht immer wieder Wanderer in moderner Outdoor-Kleidung hereinschneien, die den Weg im Licht der Stirnlampe heraufgefunden und sich vom Wetter nicht abschrecken haben lassen.

(c) imago/robertharding (Christian Kober)

Schneespuren in Stadtnähe

Bis zu den Vertreibungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Region vor allem von Sudetendeutschen bewohnt, deren Spuren nach wie vor deutlich erkennbar sind. Seitdem liegt der Berg in der Nähe des polnisch-deutsch-tschechischen Dreiländerecks, man kann vom Gipfel bis nach Deutschland blicken. Die Sicht ist klar an diesem schönen Wintertag und ganz so, als sei vor ein paar Stunden nichts gewesen. Bestes Wetter für Bewegung und ein kleines Abenteuer links und rechts der Pisten. Schließlich gibt es in der nordböhmischen Mittelgebirgsregion einige Aktivitäten nebst Skifahren und Langlaufen; vom Husky-Trekking bis zur Schneeschuhwanderung, bei der der Ještěd erkundet wird.

Anfangs geht's noch auf einem markierten Weg dahin, bald aber biegen wir einfach rechts rein und stapfen querwaldein über den frischen Schnee, in dem sich nur die Spuren von ein paar Hasen und Rehen zeigen. Zwischen den dichten Nadelbäumen hindurch, über Äste und Stämme, Wurzeln und zugefrorene Bächlein hinterlassen wir nun unsere. „Das Schöne ist, dass man hier in der Natur unterwegs sein kann, nichts hört und niemanden sieht – und trotzdem schnell wieder in der Stadt ist“, sagt Tourguide Radek Hon, als er an der Kamenná Vrata stoppt, zwei Felsbrocken, durch deren Spalte sich ein weites Landschaftspanorama eröffnet.

(c) imago images / CTK Photo (via www.imago-images.de)

2500 Mal am Berg

Kaum jemand kannte die Wege rund um den Berg besser als der heuer 78-jährig verstorbene Jiří Mánek. Hunderte, nein, Tausende Male ist er hinaufgewandert. Der Grund dafür war eine kühne Behauptung, die seine Motivation anstachelte: In einem 1884 veröffentlichten Buch über den Ještěd, das ihm in die Hände gefallen war, stand doch tatsächlich, dass zweifellos niemand mehr die Rekorde zweier Frauen übertreffen würde. Mehr als 709 Aufstiege in einem Jahr? Und mehr als 5000 im ganzen Leben? Mánek nahm für sich die Herausforderung an, die ihn zum „Ještěd-Mann“ machen sollte. Mit 66 Jahren begann er am 1. Jänner 2006, jeden Tag mehrfach und auf unterschiedlichen Routen den Stadtberg von Liberec zu besteigen. Einmal sogar auf Krücken, und am schnellsten in 33 Minuten. Selbst tiefer Schnee hielt Mánek nicht davon ab, 2500 Mal auf seinen Berg zu gehen – von dem eine Seilbahn zurück nach Liberec (Reichenberg) fährt.

Es ist ein kurzes Schweben, und weiter mit dem Auto dauert es kaum mehr als 20 Minuten, dann steht man schon im Zentrum vorm schönen Neorenaissance-Rathaus. Im 18. Jahrhundert wurde die Stadt ein reicher Industriestandort. Der deutsche Industriellen-Clan Liebieg spielte damals eine zentrale Rolle, Spuren wie das Liebieg-Viertel oder die Liebieg-Villa zeugen davon. Heute leben rund 100.000 Menschen in der nordböhmischen Universitätsstadt mit sudetendeutscher Vergangenheit, die alle Vorzüge urbanen Lebens bietet: hergerichtete Straßenzüge in der Altstadt, eine hohe Shopping-Center-Dichte, in „Downtown“ ein studentisches Ausgehviertel, mit vielen Lokalen, einer wummernden Après-Ski-Bar und einem Hauch Hipster-Café-Kultur im Retro-Bistro Široká.

Flott mit den Huskys

Mit Winteraktivitäten geht es dann im Jizerské hory (Isergebirge) weiter, das nur wenige Kilometer auf der anderen Seite des Kesseltals von Liberec liegt. Für Langläufer bietet die Gegend zwar auf 180 Kilometern Loipennetz ideale Bedingungen für Langlauf. Man kann aber auch hier bestens Schneeschuhwandern, mit einem großen Gummiring beim Snowtubing eine Piste runterbrettern – oder, wenn man Rodney Lovette aufsucht, sich auf ganz andere Weise fortbewegen: Der US-Amerikaner aus Iowa wohnt in einer bescheidenen Hütte auf seiner Husky-Farm in der Nähe von Bedřichov, einem der Wintersportzentren in der Gegend. Vor ein paar Jahren war er wegen der Liebe nach Tschechien gekommen. Von der Frau ist er inzwischen geschieden. Nach Iowa zurück will er nicht – wegen der anderen Liebe: seinen Hunden. „Das sind meine Kinder“, erklärt er, als er seinen Besuchern Geschirre um die Hüfte schnallt. Weil der tiefe Pulverschnee gerade nicht so ideal für eine Husky-Schlittentour ist, schickt er die Gruppe zum Dog-Trekking mit Jewel, Gucci und Bliss. Das klingt zwar nach Tussi-Geschwader, es handelt sich aber um drei fellbesetzte Kraftwerke: um Alaskan Huskys, von denen jeder Trekker einen vorn ans Geschirr gehakt bekommt.

Im Affenzahn ziehen die drei die Menschen hinter sich her. Das Trekking wird dabei auf mehreren Kilometern im tief verschneiten Gebirge zu einem seltsamen Rausch aus Work-out und inniger Beobachtung der süßen Hunde-Energiepakete. „Bis zu 40 Kilometer pro Stunde schnell können Alaskan Huskys laufen“, erklärt Lovette nach der Rückkehr den Dog-Trekkern, deren knallrote Köpfe aus der durchgeschwitzten Funktionskleidung schauen, während nun noch alle Hunde für eine aufgeregte Streichelrunde gleichzeitig von der Kette gelöst werden. Gefühlt war es zumindest nicht viel langsamer. Wer so schnell unterwegs ist, kann aufs Skifahren auch getrost verzichten.

WINTER IN NORDBÖHMEN

Übernachten: Hotel Ještěd am Gipfel des gleichnamigen Bergs. 12 Komfort- oder Retrozimmer. jested.cz/en

Grand Hotel Zlaty Lev in Liberec, beste Lage. clariongrandhotelzlatylev.com

Aktiv: Hundetrekking mit Schlitten oder zu Fuß bei Rodney Lovette (huskytours.cz) oder Jana Henychová (www.huskies.cz)

Ausflug: Holzkirche, Krippenmuseum und Aposteluhr in Kryštofovo Údolí

Infos: www.visitliberec.eu, czechtourism.com

Compliance: Die Reise wurde unter- stützt v. Visit Liberec und Czech Tourism

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2019)

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