Iran/Ukraine

Iran: Passagierflugzeug vermutlich abgeschossen

APA/AFP/ISNA/BORNA GHASSEMI
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Kanada und Großbritannien gehen davon aus, dass die ukrainische Boeing von einer iranischen Rakete getroffen wurde. Ein Video, das die „New York Times“ veröffentlichte, zeigt den Einschlag.

Nach dem Absturz einer ukrainischen Passagiermaschine bei Teheran am Mittwochmorgen verdichten sich die Hinweise auf einen versehentlichen Abschuss durch eine iranische Boden-Luft-Rakete als Ursache. Die Regierungen in Kanada und Großbritannien haben nach eigenen Angaben Informationen, die darauf hinweisen. Diese Theorie wird US-Medienberichten zufolge auch in den USA verfolgt.

Offiziell wird die Ursache für den Absturz weiter im Iran untersucht. Das Flugzeug mit Kurs Kiew und 176 Menschen an Bord war am Mittwoch wenige Minuten nach dem Start abgestürzt, kurz nachdem der Iran zwei von US-Soldaten genutzte Stützpunkte im Irak mit ballistischen Boden-Boden-Raketen bombardiert hatte. Bei dem Absturz gab es keine Überlebenden. Der Iran will nun auch Fachleute unter anderem aus den USA und Frankreich in die Untersuchungen einbeziehen. Die Nationale Behörde für Transportsicherheit in Washington erklärte, dass sie sich an der Untersuchung beteilige.

Die Boeing war noch ziemlich neu

Der Iran weist Spekulationen über einen Abschuss bisher zurück und führt einen technischen Defekt als Ursache an. Die Boeing 737-800 der Ukraine International Airlines flog allerdings erst seit 2016, war also noch ziemlich neu. Unter den Absturzopfern waren 63 Kanadier.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau sagte am Donnerstag, seine Regierung habe Informationen "von mehreren Quellen, von unseren Alliierten und eigene Informationen". Die Beweise seien "sehr klar". Der britische Regierungschef Boris Johnson sprach einer Mitteilung zufolge von einem "Korpus an Informationen", der auf einen Abschuss durch eine iranische Rakete hinweise.

Der US-Sender CBS berichtete, US-Geheimdienste hätten Signale von einem Zielerfassungsradar empfangen, das eingeschaltet worden sei. US-Satelliten hätten außerdem den Start von zwei Boden-Luft-Raketen kurz vor der Explosion des Flugzeugs entdeckt. CNN berichtete, der Theorie eines versehentlichen Abschusses durch den Iran lägen die Analyse von Satelliten-, Radar- und anderen elektronischen Daten zugrunde, die routinemäßig vom US-Militär und den Geheimdiensten gesammelt würden.

Video dürfte Abschuss tatsächlich zeigen

Letztlich publizierte die New York Times ein von einem namentlich genannten Beobachter in Teheran gemachtes Video, das den Abschuss der Boeing zeigen soll. Man erkennt bei genauem Hinsehen links unten einen weißen Lichtpunkt, der schnell in den noch dunklen Himmel steigt und bei Sekunde eins explodiert. Ziemlich genau zehn Sekunden später ertönt ein donnerndes Geräusch, was wegen der hier anzunehmenden Schallgeschwindigkeit auf eine Entfernung von rund dreieinhhalb Kilometern hinweist. Die Erschütterung löst, wie man hören kann, sogar Alarmanlagen (von Autos?) aus.

Das Flugzeug selbst ist allerdings nicht explodiert sondern offenbar schwer beschädigt weitergeflogen. Eine solche Explosion ist wegen des Wirkmechanismus von Flugabwehrraketen allerdings auch nicht zwingend, sofern nicht die Kerosintanks getroffen werden.  

Die Ukraine hat bereits eigene Experten in den Iran geschickt. Kiew hatte bereits Donnerstsagfrüh Zweifel an Teherans Darstellung geäußert. Eher halte man einen Raketenangriff, Terrorismus, einen Zusammenstoß oder Motorschaden für möglich, hieß es noch am Donnerstag Vormittag. Denn das Flugzeug habe versucht, abzudrehen, sei aber sechs Minuten nach dem Start abgestürzt.

Später wandte sich das ukrainische Präsidialamt an die Öffentlichkeit: Internationale Partner, die Beweise hätten, sollten diese mit der Ukraine teilen. „Unser Land will die Wahrheit herausfinden.“

Der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde, Ali Abedsadeh, gab am Donnerstagabend im iranischen Fernsehen bekannt, dass der Iran auch Boeing-Fachleute aus den USA, Kanada und Frankreich an den Untersuchungen zur Absturzursache der ukrainischen Passagiermaschine bei Teheran beteilige.

Die Black Box kann einem Bericht des iranischen Staatsfernsehens vom Fraitag zufolge nun ausgewertet werden. Allerdings sei die Black Box ebenso beschädigt wie der Voice Recorder, der Stimmen aus dem Cockpit aufzeichnet. Falls dies aber aus technischen Gründen nicht möglich sein sollte, wären auch Untersuchungen im Ausland denkbar. Es sollten alle technischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, um die Absturzursache umgehend zu klären, sagte Abedsadeh. Die Vermutung, die Maschine sei von einem iranischen Raketenabwehrsystem getroffen worden, bezeichnete er als absurd.

Das iranische Außenministerium verlangte von Kanada die Übergabe der Geheimdienstformationen. Die kanadische Regierung solle diese Informationen mit einer vom Iran eingesetzten Untersuchungskommission "teilen", erklärte das Außenministerium in Teheran.

Aufgrund der Sicherheitslage in der Region hatte die AUA am Donnerstagabend ein Flugzeug auf dem Weg in die iranische Hauptstadt Teheran umkehren lassen. Auch der Flug von und nach Teheran am Freitag wurde gestrichen.

Im Internet kursieren Indizien für einen Abschuss

Satelliten zeigten kurz vor dem Absturz der Boeing den Abschuss zweier Raketen, auch eine Explosion sei registriert worden. Und: Kurz zuvor hatte der Iran Raketen auf US-geführte Militärstützpunkte im Irak abgefeuert. Im Internet kursieren mögliche Indizien für einen Abschuss. Fotos zeigen den vom eigentlichen Raketenkörper abgetrennten Radarsuchkopf einer Rakete vom Typ 9M330 oder 9M331 „Fakel". Solche Raketen werden von radargesteuerten mobilen Kurzstreckenflugabwehrsystemen des russischen „Tor"-Systems verschossen (Nato-Code: SA-15 Gauntlet), wie sie auch bei den iranischen Streitkräften benutzt werden. Einen solchen Suchkopf will ein iranischer „Bürger-Journalist" in der Nähe des Unglücksortes irgendwo in einem Straßengraben gefunden haben. Nähere Angaben gibt es freilich bisher nicht, vor allem keine, die eine Positionsbestimmung der Aufnahme erlauben. Die Indizienlage ist daher durchaus zweifelhaft.

Twitter/Babak Taghvaee

Die Fakel-Raketen werden von bodengestützten Radars per Funk gelenkt und in der Nähe des Ziels vom Zielsuchkopf zur Explosion gebracht. Einige Zweifler wandten ein, dass der Zielsuchkopf der Rakete doch einen Einschlag nicht überleben könne so wie jener, der im Internet kursiert. Allerdings müssen die Raketen ihr Ziel eben gerade nicht direkt treffen, da die Explosion schon in unmittelbarer Nähe, also mehreren Metern Abstand, ausgelöst wird und der eigentliche Sprengkörper, der Metallstücke um sich schleudert, sich unterhalb des Annäherungssuchkopfs befindet. Er wird daher bei der Explosion abgetrennt und kann durchaus halbwegs intakt auf den Boden fallen.

military.cz/ausairpower.net

Wenige Stunden vor dem Absturz, den niemand überlebte, hatten die iranischen Streitkräfte zahlreiche ballistische Boden-Boden-Raketen auf US-Stützpunkte im Irak verschossen, als Rache für die Tötung des legendären iranischen Generals Qassem Soleimani durch US-Drohnen Anfang Jänner. Daher wird spekuliert, dass die iranische Luftabwehr hypernervös in Erwartung eines US-Gegenschlags gewesen sein könnte.

Russian Military/RT

Ein Video, das jemand vom Absturz machte, zeigt, dass etwas an der Maschine gebrannt hatte, möglicherweise ein Triebwerk, während sie zu Boden fiel.

Resolution, um Trump einzubremsen

Im Konflikt zwischen den USA und dem Iran standen die Zeichen nach den gezielten Militärschlägen vorerst auf Entspannung. Die Lage am Persischen Golf war eskaliert, nachdem die USA Soleimani Ende vergangener Woche in Bagdad gezielt getötet hatten. Der Iran hatte in der Nacht zum Mittwoch mit einem - angekündigten - Angriff auf zwei von den USA genutzte Militärbasen im Irak geantwortet. Danach hatten Trump und Irans Präsident Hassan Rouhani angekündigt, den Konflikt zunächst auf politischer Ebene führen zu wollen.

Trump verteidigte das Vorgehen der USA gegen Soleimani erneut. Bei einem Wahlkampfauftritt in Toledo im US-Bundesstaat Ohio bezeichnete er Soleimani als "sadistischen Massenmörder". "Soleimani hat aktiv neue Angriffe geplant und hatte sehr ernsthaft unsere Botschaften im Blick und nicht nur die Botschaft in Bagdad. Aber wir haben ihn gestoppt", sagte Trump. Zuvor hatte er im Weißen Haus gesagt, Soleimani habe die US-Botschaft in die Luft jagen wollen.

Trump ging mit seinen Äußerungen über die bisherige Darstellung der US-Regierung der Beweggründe für den Angriff auf Soleimani hinaus. Die Demokraten hatten Zweifel an der Begründung angemeldet, wonach Soleimani bevorstehende Angriffe auf US-Bürger geplant habe, und kritisierten auch, dass die US-Regierung in der Angelegenheit zu wenig Informationen preisgebe. Trump warf den Demokraten in Toledo vor, alles an die Medien weiterzugeben, wenn sie informiert würden.

Das US-Repräsentantenhaus verabschiedete am Donnerstag eine Resolution, mit der ein eigenmächtiges militärisches Vorgehen von Trump gegen den Iran verhindert werden soll. Mit ihrer Mehrheit in der Kammer stimmten die Demokraten für einen entsprechenden Beschluss, der den Republikaner Trump zur Einbeziehung des Parlaments zwingen soll. Der Vorstoß dürfte symbolischen Charakter haben: Die Demokraten dominieren zwar das Abgeordnetenhaus, den Senat aber die Republikaner. Eine Mehrheit für die Resolution dürfte dort nicht zustande kommen. Ohnehin dürfte sie spätestens an einem Veto Trumps scheitern.

EU-Außenministertreffen in Brüssel

Die EU-Außenminister beraten am Freitag (15.00 Uhr) bei einem Sondertreffen in Brüssel über die Krisenherde in Nahost und Libyen. Von dem Treffen soll vor allem ein Signal der Geschlossenheit ausgehen. Die Staatengemeinschaft hatte in beiden Konflikt jüngst versucht, ihre diplomatischen Kanäle zu nutzen. Für Österreich wird Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in Brüssel erwartet.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hält die Lage am Persischen Golf weiter für unberechenbar. Die NATO reagierte auf Trumps Aufforderung, das Militärbündnis müsse zusätzlich zur Stabilität im Nahen Osten und dem Kampf gegen Terrorismus beitragen. Die NATO habe das Potenzial dazu, sagte Stoltenberg. "Und wir prüfen, was wir zusätzlich tun können." Trump ging am Donnerstag sogar so weit zu sagen: "Ich denke, die NATO sollte erweitert werden und wir sollten den Nahen Osten einbeziehen." Man könne das Bündnis in NATO-ME umbenennen, scherzte Trump. Das Kürzel ME würde dabei für Middle East - also Naher Osten - stehen. Er habe den Namen bereits NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vorgeschlagen.

(red./ag./som/wg)

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