Der iranische Revolutionsführer Ali Khamenei schwört seine Landsleute auf einen kompromisslosen Kurs ein. Er vertraut weder den USA noch den Europäern.
Teheran/Tunis. Die kleinen Zettel mit Notizen, die er in seiner linken Hand hielt, hatte er bald vergessen. Was Irans Revolutionsführer Ali Khamenei beim Freitagsgebet in Teheran zu sagen hatte, dazu brauchte er kein Manuskript. Gut 75 Minuten dauerte die politische Gardinenpredigt des mächtigsten Mannes im Iran – live übertragen im Staatsfernsehen. Khameneis Ausführungen waren ein Frontalangriff auf die USA, die Europäer, aber auch auf die Demonstranten im eigenen Land sowie die irankritischen Proteste im Irak.
Freitagspredigten von Khamenei sind extrem selten. Nur in Zeiten schwerer nationaler Krisen tritt der mächtigste Kleriker der Islamischen Republik selbst ans Pult der Teheraner Mosalla Moschee – wie 2012 nach dem Arabischen Frühling oder 2009 nach dem Protest der grünen Bewegung gegen die gefälschte Präsidentenwahl von Mahmud Ahmadinedschad.
Genauso wie damals, schwor Khamenei er auch an diesem Freitag die iranische Nation nach zwei tumultreichen Wochen wieder auf seinen kompromisslosen Kurs ein. Die jetzige Krise begann mit der gezielten Tötung von Top-General Qasem Soleimani durch eine US-Drohne. In der Nacht der iranischen Vergeltungsangriffe auf zwei US-Militärbasen im Irak traf eine Rakete der Revolutionsgarden bei Teheran irrtümlich einen ukrainischen Passagierjet mit 176 Menschen an Bord. In mehreren iranischen Städten kam es daraufhin zu regimekritischen Protesten.
USA: „Es gab elf Verwundete“
Khamenei nannte den Abschuss der Boeing 737 eine „bittere Tragödie“, die jedoch die „feige Ermordung“ Soleimanis nicht überschatten dürfe. Dieser habe den Iran quer durch die Region gegen die Extremisten des „Islamischen Staates“ verteidigt. Einheimischen Kritikern, die die Auslandseinsätze mit Parolen wie „weder Gaza, noch Libanon“ kritisierten, warf er vor, nur an sich selbst zu denken und keinen Finger für das Wohl der Nation zu rühren. „Diese Leute können nicht von sich behaupten, wie Soleimani ihr Leben für die Sicherheit des Iran geopfert zu haben.“
Nicht solche Protestaktionen, sondern die Raketenangriffe auf US-Militärbasen hätten „die wahren Gefühle der Nation gegenüber Amerika“ offenbart, erklärte Khamenei, immer wieder unterbrochen von „Tod für Amerika“-Rufen. Den europäischen Unterzeichnerstaaten des Atomvertrags – Großbritannien, Frankreich und Deutschland – warf er vor, sie seien Vasallen von Donald Trump und hätten bereits in den 1980er-Jahren im iranisch-irakischen Krieg Saddam Hussein mit Waffen beliefert.
Das Giftgas aus Deutschland sei gegen iranische Truppen und Städte eingesetzt worden, wo die Folgen noch heute spürbar seien. „Ich habe kein Vertrauen in diese Staaten, sie folgen nur ihren eigenen Interessen“, sagte Khamenei. Für den Iran gebe es aus der gegenwärtigen Situation nur ein Fazit: „Wir müssen stärker werden“.
Derweil räumten die USA am Freitag überraschend ein, dass bei den iranischen Raketenangriffen auf die Luftwaffenbasis Al-Asad im Zentralirak doch elf US-Soldaten verwundet worden seien. Das US-Oberkommando war rechtzeitig über den bevorstehenden Beschuss informiert worden, sodass sich die meisten der 1500 US-Soldaten in Bunkern aufhielten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2020)