Wer ist wirtschaftspolitisch auf dem richtigen Weg? Europa oder die USA?
Stephan Schulmeister: Obama. Die Unternehmer brauchen Impulse. Die Märkte bekommen von sich aus keinen Aufschwung, dazu ist der Pessimismus zu groß. Damit kommen wir nur mit einer Erhöhung der Staatsquote aus der Krise.
Europa spart sich also in die nächste Krise?
Schulmeister: Meiner Ansicht nach ja.
Die Staatsschulden nehmen aber schon gefährliche Dimensionen an. Sehen Sie keine Notwendigkeit, auf die Bremse zu steigen?
Schulmeister: Natürlich. Ich bin ein strikter Gegner von hoher Staatsverschuldung. Aber ein Schuldenabbau kann nur bei einem nachhaltig höheren Wirtschaftswachstum gelingen, gesundschrumpfen kann ein Staat nur schwer. Aber er kann an der Einnahmenschraube drehen: Statt das Defizit zu erhöhen, müssen eben die Bestverdiener mehr zahlen. Damit finanziert der Staat seine Programme.
Das klingt nach einem ideologischen Konzept.
Schulmeister: Die Besserverdiener sollen nicht aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit temporär mehr Beiträge leisten, sondern aus makroökonomischen Überlegungen. Die Gefahr der ausgabenseitigen Sparpolitik trifft ja notwendigerweise die Mittel- und Unterschicht, weil die wirklich Reichen vom Staat ja nichts bekommen. Wenn ich den Reichen etwas abzwacke, wird der private Konsum nicht gedämpft.
Ab wann sollen die Staaten dann ihre Defizite zurückfahren?
Schulmeister: Sobald das Werkl wieder läuft. Es gibt keine bessere Budgetkonsolidierung als ein Wirtschaftswachstum. Davon haben die USA immer profitiert: Sie machten ordentliche Defizite ohne Sparversuche und brachten damit die Wirtschaft wieder in Schwung. Das ist der richtige Weg. Europa scheint den makroökonomischen Verstand verloren zu haben.
Ist es eigentlich nicht skurril, dass die kapitalistischen USA sagen, der Staat muss in den Markt eingreifen, und das sozialistische Europa, dass man sich zurückziehen muss?
Schulmeister: Das ist die Doppelbödigkeit. In den Sonntagsreden ist man in den USA radikal neoliberal, aber unter der Woche interveniert der Staat auf Teufel komm raus.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2010)