Der Oscar-Erfolg von „Parasite“ ist kein Zufallstreffer: Südkorea hat eine blühende Filmindustrie, cineastische Tradition, eine Kino-affine Jugend – und Sitze, die durchrütteln.
Ein bisschen ironisch ist es durchaus, dass der Oscar-Gewinn von „Parasite“ in der südkoreanischen Bevölkerung ein solches Ausmaß an kollektivem Patriotismus ausgelöst hat. Die Überschriften der Tageszeitungen überschlugen sich mit Superlativen, zu Tausenden pilgern plötzlich schaulustige Millennials zu den Originaldrehorten in Seoul. Auch der Präsident dankte dem Filmteam, für „Stolz und Mut“ im Volk gesorgt zu haben. Bei all dem Hype geht allzu leicht unter, dass das Werk von Bong Joon-ho vor allem eine Kritik auf die Gesellschaft des ostasiatischen Tigerstaates ist: Es zeigt die Schattenseiten hinter den glitzernden Neonfassaden der Hightech-Nation.
Vor allem aber steht der Streifen in einer langen und reichhaltigen Tradition koreanischer Kinokunst, die im letzten Jahr ihr hundertjähriges Jubiläum feierte. Als die ersten Filme in Seoul produziert wurden, war das Land noch unter japanischer Kolonialherrschaft. Als Erweckungserlebnis und für Kritiker nach wie vor bester koreanischer Film überhaupt gilt „Obaltan“ (auf Deutsch etwa: „ziellose Kugel“), das mit naturalistischen Bildern in der Tradition der italienischen Neorealisten von der Nachkriegsrealität im bitterarmen Seoul handelt.