Von Abgründen im Kitzloch und Rudi Anschober als Doskozil der Corona-Krise.
Guten Morgen. Eine der vielen Begleiterscheinungen von Ausnahmebeschränkungen und Heimarbeit – diesen Ausdruck kann man nicht oft genug verwenden – ist eine leichte kalendarische Verwirrung: Welcher Tag ist heute schnell? Mittwoch richtig. Es dauert also noch. Und vermutlich länger als bis zum 13. April, wie Kanzler Kurz am Dienstag erklärte. Im Idealfall, also wenn die Zunahme der Neuinfektionen „nur“ mehr in einem einstelligen Prozentbereich liegt, könnte es aber nach dem Ostermontag einen Stufenplan für den langsamen Neustart des öffentlichen Lebens geben. Stufe eins wäre wohl eine geregelte Teil-Wiederaufnahme des Handels, die aber unter sehr strengen Bestimmungen passieren könnte, also etwa Kontrollen vor Betreten eines Geschäftes und so weiter und so fort. Eine Voraussetzung wäre auch eine breite Annahme der neuen Corona-App von Gesundheitsressort und Rotem Kreuz, damit die Behörden mit diesem neuen Tracking und/oder möglicher anonymisierter Handydaten-Ausweitung alle möglichen jüngsten Kontakte Neuinfizierter nachvollziehen und testen können. Die Presse berichtet über diese neue App. Südkorea lässt grüßen.
Weltweit versuchen immer mehr Staaten mit ähnlichen Maßnahmen wie sie in Österreich erlassen wurden, dem Virus Herr oder Frau zu werden. Laut einer Statistik der französischen Nachrichtenagentur wurden mit Verhängung einer „vollständigen Ausgangssperre“ in Indien weltweit für mehr als 2,6 Milliarden Menschen drastische Beschränkungen der freien Bewegung im Zuge der Corona-Krise angeordnet. In Madrid musste eine Sporteishalle in ein Leichenlager umgewandelt werden. Eine ganze normale Grippesaison eben. Oder? Verzeihen Sie mir bitte, es ist zu früh für Zynismus.
Solchen will man Gesundheitsstadtrat Peter Hacker nicht unterstellen, der wie zuletzt in Michael Fleischhackers TV-Talk und nun in einem Stadtmagazin auf jede Frage nach möglichen Differenzen und seiner Gegenposition zu Regierungstruppe von Sebastian Kurz sagt, dass „die Kapitäne auf der Kommandobrücke“ nicht streiten sollen. Allerdings gibt es auf der Kommandobrücke nicht mehrere Kapitäne, sondern eigentlich nur einen. Und der, dessen Patent und dessen Offiziersstab scheinen Hacker les- und hörbar abzuschrecken. Dafür funktioniert das Krisenmanagement eigentlich sehr gut.
Das kann man von dem in Tirol, rund um den Aprés-Skiort Ischgl und sportlichen Ärztekongressen wirklich nicht sagen. Also gebürtiger Tiroler fühle ich mich nicht angegriffen, sondern mehr als peinlich berührt, wenn es diese absurde Geschichte auf CNN schafft und dort berichtet wird, wie in dem Lokal namens „Kitzloch“ ernsthaft Pingpong-Bälle als Spiel von Mund zu Mund, von Bierglas zu Bierglas weitergegeben wurden, während ein paar Hundert Kilometer weiter südlich alte Menschen am hier fröhlich weiter gegrölten Virus starben. Scham kann und will man sich mit (Tourismus-)Geld nicht kaufen. Wo ist eigentlich die breite Selbstkritik, der Aufschrei in Tirol? Wie wäre es mit dem Pisten-Ballermann in Zukunft aufzuhören? Skigebiete mit ein wenig Lebenskultur in Frankreich und Südtirol machen es vor. Dort betrinkt man sich, wenn schon, dann stilvoller und distanzierter. Wer zahlt der professionellen Tirol-Werbung die nun notwendige Aufbauarbeit nach dem Imagedesaster? Ischgl? Oder doch alle Tiroler?
In Krisensituationen werden häufig neue Politiker stark, 2015 war das etwa der burgenländische Polizist Hans Peter Doskozil, der mit seinem Auftreten in der Flüchtlingskrise eine steile politische Karriere starten konnte, er wurde Verteidigungsminister und später burgenländischer Landeshauptmann. (Er wurde gerade von Spezialisten in Deutschland an den Stimmbändern erfolgreich operiert und befindet sich in der Rekonvaleszenz. Gute Besserung und wie alle zu Hause bleiben!)
2020 gibt es in der Corona-Krise noch keinen politisch Unbekannten, der sich hervortut, die Bühne wird von Kurz und Co beherrscht. Einzig der davor sehr zurückhaltende Gesundheitsminister Rudi Anschober punktet in der Öffentlichkeit massiv mit seinen ruhigen, gefassten Auftritten. Während Kurz für Entschlossenheit und Leadership steht, übernimmt Anschober Augenmaß und Beruhigung. Interessanterweise begannen die zuletzt sehr konstruktiven Sozialdemokraten Anschober ins Visier zu nehmen. Pamela Rendi-Wagner kritisierte ihn für seine defensive Test-Strategie, er warf der SPÖ-Chefin daraufhin Populismus vor. Das war der erste Schlagabtausch in der Schulterschluss-Phase, die Gründe dafür sind simpel: Die SPÖ fürchtet, dass die oberösterreichisch abgeklärte Variante von Alexander Van der Bellen frustrierte SPÖ-Wähler mit Sozialpolitik und Corona-Kampf anspricht. Neben dem Klimawandel hätten die Grünen plötzlich ein neues Thema, in dem sie glaubwürdiger als die anderen Parteien sind: die Gesundheitspolitik, die nun naturgemäß sehr zentral wird. Also will, falsch: muss die SPÖ dies verhindern. Weitere Konflikte der einstigen heimlichen Schwesterparteien sind vorprogrammiert.
Und morgen ist Donnerstag, oder?