Corona Briefing Tag 36

Kurz verkündet auf CNN die Essensmaske, Fischer kandidiert als UNO-Generalsekretär und Rendi-Wagner ist für die SPÖ zu differenziert

Austrian Chancellor Sebastian Kurz and Ministers arrive for a news conference in Vienna
Austrian Chancellor Sebastian Kurz and Ministers arrive for a news conference in ViennaREUTERS
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Der Bundeskanzler verkündete im amerikanischen Fernsehen, dass wir im Restaurant künftig Masken tragen müssen. Welcher Minister wird das bei der Regierungspressekonferenz vormachen?

Guten Morgen. Wir gehen in die sechste Woche einer historisch einzigartigen und freudlosen Ausnahmesituation unserer bisher bekannten Welt. Die Mischung aus Durchhalteparolen, Lockerungsübungen, Freude darüber und Warnung davor macht die Situation nur zum Teil leichter, aber gibt uns die Möglichkeit einer wie immer differenzierten Sichtweise. Die Regierungsspitze hat die neuesten Zahlen zu den Coronavirus-Infektionen in Österreich jedenfalls als „erfreuliches Zeichen“ gewertet. „Diese gute Entwicklung ist ein gemeinsamer Erfolg der gesamten Bevölkerung, für den wir uns bei allen sehr herzlich bedanken“, veröffentlichten Kanzler Kurz und Vizekanzler Kogler artig in einem gemeinsamen (!) Statement. Uns Journalisten kann man es einfach nicht Recht machen: Geben die beiden eine Pressekonferenz, beklagen wir PR mittels Dauerschleifen-Pressekonferenzen. Veröffentlichen sie ein gemeinsames Statement, empfinden wir das als herzogliche Depeschen-Öffentlichkeitsarbeit. Und wir haben dennoch in beiden Fällen natürlich trotzdem Recht. Wir sind schließlich Journalisten.

Jedenfalls weiter in der Erklärung aus dem Kanzleramtspalais: Erstmals seien in Österreich gestern Vormittag im 24-Stunden-Vergleich zum Vortag weniger als 100 Neuinfektionen mit dem Virus verzeichnet worden, berichteten Kurz und Kogler. Damit dieser Trend anhält, sei allerdings weiter Vorsicht geboten. Denn: „Das Ziel ist noch lange nicht erreicht. Am Ende des Tages werden wir nur dann erfolgreich sein, wenn wir uns weiter an die gesetzten Maßnahmen halten und unsere sozialen Kontakte reduzieren. Je besser uns das gelingt, desto schneller können wir wieder zur Normalität zurückkehren und Maßnahmen lockern.“ Ich dachte ja, das Ziel seien Impfstoff und Gegenmittel.

Wichtiger war aber ohnehin das Interview von Sebastian Kurz mit dem US-Fernsehsender CNN zur „schnellen und harten“ Vorgehensweise der Bundesregierung in der Coronavirus-Krise. „Deswegen ist die Situation jetzt unter Kontrolle, auch in den Spitälern.“ „Wir haben nur etwa 100 Neuinfektionen pro Tag und wir sind extrem glücklich, dass wir so schnell und entschlossen reagiert haben“, erklärte der Bundeskanzler. Keine Sorge, Donald Trump schaut CNN aus Prinzip nicht.

Kurz: „Wir gehen immer in Zweiwochenschritten vor, damit wir sehen können, wie sich die Lage entwickelt und ob es wieder zu einem Anstieg der Infektionen kommt. Anfang Mai sollen alle Geschäfte, Mitte Mai auch die Restaurants wieder aufsperren.“ Und dann die Neuigkeit für Österreich: Allerdings müssten die Leute in Zukunft eben auch in den Restaurants Masken tragen. Maske im Restaurant? Ok, welcher Minister muss das dann bei der Regierungspressekonferenz vormachen? Wir erinnern uns ganz kurz an einen der Dutzenden Präsidentschaftswahlkämpfe, als Kandidaten (Van der Bellen, Hofer, Griss, Hundstorfer oder Khol) auf einem Privatsender aufgefordert wurden, mit den Fingern zu essen. (Um ein Staatsdinner mit einem lustigen Andere-Sitten-Land zu simulieren.)

Apropos Präsidentschaftskandidaten: Heinz Fischer gab am Sonntagabend wieder einmal den Gegenpapst und der „Zeit im Bild 2" ein Interview: Der ehemalige Bundespräsident betonte, dass in der Coronavirus-Krise in Österreich vieles richtiggemacht worden sei. Dennoch sei es „wichtig, der Einhaltung der Grundrechte und der Verfassung ganz hohe Bedeutung“ einzuräumen.

Und Fischer klassisch: Von einem Pfusch bei Gesetzen wolle er nicht sprechen, weil das eine sehr schwierige Situation sei und vieles unter Zeitdruck geschehen müsse. Dennoch könne er es auch nicht wagen, zu behaupten, dass überhaupt keine Fehler passiert seien. Wann wird Heinz Fischer endlich UNO-Generalsekretär?

Zumal die internationalen Entwicklungen ebenfalls höchst differenziert zu betrachten sind: Die Angst, dass die Seuche am afrikanischen Kontinent grassiert und es zu ähnlichen Zuständen wie in Südafrika kommt, also zu massiven Problemen mit dem Aufrechterhalten der öffentlichen Ordnung beziehungsweise Übergriffen der Polizei, steigt weiter. Japan, eben noch Vorbild vieler echter und neuer Virus-Experten, ist leider in den Krisenmodus gegangen oder zurückgekehrt. Dafür wird in Frankreich (Besuche in Alten- und Pflegeheimen, ernsthaft jetzt?), Deutschland (Geschäfte mit einer Ladenfläche von bis zu 800 Quadratmetern dürfen öffnen, für ältere Jahrgänge auch Schulen) und Slowenien (hier dürfen Große wie Baumärkte, Technikanbieter und Möbelgeschäfte aufsperren, kleinere Geschäfte untere 400 Quadratmeter noch nicht) gelockert.

In fast allen Ländern wird heftig diskutiert, ob diese Maßnahmen richtig sind und die davor gesetzten es waren. In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ sprachen zwei interessante Spezialisten dazu: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner stimmte ebenfalls auf einen längeren mühseligen Abschnitt mit dem Virus ein, frei nach Xavier Naidoo auf Twitter: „Dieser Weg wird ein längerer sein“, beurteilte die Lockdown-Strategie Österreichs als vollkommen richtig und sprach sich dennoch für eine schrittweise Öffnung der Schulen aus. Alt-SPÖ-Geschäftsführer Josef Kalina wunderte sich im Anschluss, dass er keine konsistente SPÖ-Position ausgemacht habe. Vielleicht war es einfach die Position der Gesundheitsexpertin und nicht der Oppositionschefin?

Das bringt mich zum anderen Gesundheitsexperten der Runde: Andreas Sönnichsen, Leiter der Abteilung Allgemeinmedizin an der Med Uni Wien, kam mit folgendem Statement: „Im März konnten wir nicht anders, aber heute wissen wir mehr und wir müssen aufpassen, dass der Ausweg nicht zum Irrweg wird.“ Damit meinte er unausgesprochen, aber doch deutlich: Die getroffenen Maßnahmen seien viel zu hart gewesen.

„Presse“-Leser wird das nicht überrascht haben. Sönnichsen erklärte Anfang April in einem Interview mit Judith Hecht: „Führen wir uns die Zahlen vor Augen: Derzeit gibt es etwa 10.500 Corona-Infizierte (Stand 1. April 2020, 15 Uhr). Das ist im Vergleich zu acht Millionen Einwohnern nicht viel. Und 85 Prozent davon verlaufen völlig harmlos. Corona wird vollkommen überbewertet, bei aller Tragik, dass alte und vorerkrankte Menschen verstärkt Lungenentzündungen aufgrund von Covid-19 bekommen.“

Judith Hecht: „Viele fragen sich, ob all die strikten Maßnahmen notwendig sind." Sönnichsen: „Diese Frage muss man sich auch stellen und sie wird zu wenig gestellt. (…) Alles was wir tun, machen wir, um die wenigen, die es betreffen könnte, zu schützen. Dafür wird der gesamte Staat lahmgelegt – mit allen Folgen: Dass die Kinder nicht mehr in die Schulen gehen, was vor allem den sozial Schwachen schadet. Dass wir eine Wirtschaftskrise erleben werden. Es ist irre, was wir machen. Wir sind ein Tourismusland. Und dass Menschen nicht arbeiten dürfen und ihren Job verlieren, hat ja jetzt schon psychische und psychosoziale Auswirkungen, die auch zu alternativen Todesfällen führen werden.“

Nach diesem Interview hieß es von Seiten der Uni offiziell und unaufgefordert: „Die Medizinische Universität Wien distanziert sich als Institution ausdrücklich von diesen Aussagen, die ausschließlich die persönliche Meinung von Andreas Sönnichsen widerspiegeln und keineswegs der offiziellen Haltung der Universität in dieser Thematik entsprechen. Wir möchten gleichzeitig festhalten, dass es im Wissenschaftsbetrieb grundsätzlich der akademischen Freiheit entspricht, dass einzelne Wissenschaftlerinnen einer Universität persönliche Meinungen artikulieren.“

Ich finde es sonderbar, dass man betonen muss, dass Wissenschaftler ihre persönlichen Meinungen artikulieren dürfen. Sönnichsen behauptete übrigens, dass er in der „Presse“ nicht richtig zitiert worden sei. Stimmt nicht, aber einigen wir uns drauf, dass er in der Live-TV-Sendung hoffentlich richtig wiedergegeben wurde.

Sonntagvormittag durfte ich als Ersatz zur Pressestunde eine interessante Video-Runde zum Thema Freiheit in der aktuellen Lage mit Caroline Peters, Lisz Hirn und Kurt Kotrschal moderieren, nachzusehen ist die Ausgabe des „Café Brandstätter“ (des gleichnamigen Buchverlags) schon bald auf unserem digitalen Debatten-Channel. Schauspielerin Caroline Peters, die in Deutschland und Wien lebt und arbeitet, formulierte eine bemerkenswerte Beobachtung im unterschiedlichen Umgang mit den Ausgangsbeschränkungen in Deutschland und Österreich: Während man diese im Norden lange debattierte und überlegte, würde sie dann jeder sehr ernst und genauestens befolgen. In Österreich werde hingegen nicht lange diskutiert, sondern alles sofort selbstverständlich umgesetzt, aber dann das alles äußerst pragmatisch und entspannter gelebt. Wenn das einmal die Herren in der Herrengasse und ihre Kritiker-Elche lesen…

Und noch ein Apropos zum Schluss: Am Neusiedler See wurde weder kontrolliert noch abgeschoben. Oder ich hatte einfach nur Glück und bin unter Hans Peter Doskozils Wiener-Radar geblieben. Wie ist eigentlich die Lage in der Wachau? Fahrradfahren und Smaragde gehen noch für Wiener, Alfred Gusenbauer? Nächstes Wochenende dann.

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