Als weltweit fast einziges Land verzichtet Schweden in der Coronakrise auf staatlichen Zwang. Basis dafür ist Vertrauen und eine seltsame Mischung aus Gemeinsinn und Individualismus. Wie kamen die Schweden zu ihren Werten?
Diese dummen Schweden! In Amerika waren Witze über sie ein eigenes Genre zur Zeit der Einwanderungswellen vor dem Ersten Weltkrieg. Eine Million von ihnen kam über den Atlantik. Nach Hering röchen sie, hieß es, und Englisch erlernten sie besonders schwer – was Unsinn war. Aber wie kam es zum Vorurteil? In einer Hinsicht wirkten die Neuankömmlinge aus dem Norden Europas zumindest naiv: Sie vertrauten ihren Mitmenschen, sie vertrauten dem Staat und sie waren ungemein willig, Regeln zu befolgen. Die Spötter verstummten, als dort, wo sich Schweden konzentriert ansiedelten, das Gemeinwesen besonders gut gedieh. Was doch eher auf Klugheit deutet.
Dumme Schweden, kluge Schweden: In der Debatte um den richtigen Umgang mit Corona steht ihr Zehn-Millionen-Land im Fokus der Weltöffentlichkeit – als fast einziger Staat, der auf Verbote und erzwungenen Stillstand weitgehend verzichtet. Trotzdem halten die Menschen dort Abstand und arbeiten zu Hause. Weil sie so obrigkeitshörig sind? Herdentiere, die das Gehorchen im Blut haben?
Sie selbst sehen es umgekehrt: Gerade weil ihnen Freiheit so wichtig ist, bewahren sie ihre Rechte auch in der Pandemie – und sind dafür bereit, zu kooperieren.