Libanon

"Helfen Sie uns": Libanesen bitten Macron um Regimewechsel

Emmanuel Macron besuchte Beirut.
Emmanuel Macron besuchte Beirut.APA/AFP/ANWAR AMRO
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Frankreichs Präsident Macron reiste nach Beirut. Dabei kam es zu tumultartigen Szenen. Coronavirus-Tests und -behandlungen wurden in mehreren Spitälern eingestellt.

Umringt von aufgebrachten und neugierigen Menschen sowie vor allem von Sicherheitskräften und Journalisten schaute sich Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron am Donnerstag im zerstörten Teil Beiruts um. Die Menge forderte seine Unterstützung beim Sturz der libanesischen Regierung. "Helfen Sie uns!" und "Revolution!", skandierten die Menschen am Donnerstag bei Macrons Visite im christlichen Stadtviertel Gemmayze. Viele riefen auch: "Das Volk will den Sturz des Regimes!"

Bei seinem kurzfristigen Besuch in der libanesischen Hauptstadt sprach der französische Präsident von einer "historischen Verantwortung" der politischen Führung. Das libanesische Volk sei Opfer einer "politischen, moralischen, wirtschaftlichen und finanziellen Krise". Macron sollte am Donnerstag unter anderem mit seinem Amtskollegen Michel Aoun und Regierungschef Hassan Diab zusammentreffen, um Grundlagen für einen Wiederaufbauvertrag zu schaffen. Die frühere Mandatsmacht Frankreich ist dem Land weiterhin eng verbunden.

Hilfe und Mahnung

Macron wurde bei seiner Ankunft am internationalen Flughafen von Beirut von seinem libanesischen Amtskollegen Michel Aoun in Empfang genommen und sicherte zunächst weitere Hilfe zu: "Wir werden in den kommenden Tagen helfen, zusätzliche Unterstützung auf französischer und europäischer Ebene zu organisieren." Dies stehe im Vordergrund.

Aber er sei auch hier, "um eine neue politische Initiative zu starten", sagte er weiter. Er forderte "unumgängliche Reformen", andernfalls werde sich der Niedergang des Landes weiter fortsetzen. "Wir wissen, dass die Krise hier auch über die Explosion hinaus ernst ist", fügte Macron hinzu. Und dafür seien auch die derzeitigen Regierenden mitverantwortlich. Er wolle einen "neuen Pakt" für das politische Libanon vorschlagen, sagte er später in Beirut mit Blick auf seine geplanten Gespräche mit Regierungsvertretern.

Coronatests großteils gestoppt

Die Pandemie rückt im Angesicht der Explosions-Katastrophe in den Hintergrund. Coronavirus-Tests und -behandlungen sind in mehreren großen Krankenhäusern der libanesischen Hauptstadt Beirut nach der verheerenden Explosion im Hafen eingestellt worden. Einige Einrichtungen, die Coronavirus-Patienten behandelten, seien durch die Explosion so schwer beschädigt worden, dass sie die Tests eingestellt hätten, sagte Mahmud Hassun, Arzt im Rafik-Hariri-Krankenhaus in Beirut.

Bei der gewaltigen Explosion im Hafen Beiruts waren am Dienstag mehr als 140 Menschen ums Leben gekommen, rund 5000 weitere wurden verletzt. Viele Krankenhäuser sind völlig überlastet. Auch der Leiter des Verbands der Privatkliniken, Sulaiman Harun, bestätigte einen Stopp der Tests in einigen Krankenhäusern. "Die Explosion hat die Coronavirus-Tests unterbrochen, da die meisten Krankenhäuser mit der Katastrophe und der hohen Zahl der Verletzten beschäftigt sind", sagte Harun. Die Versorgung der Verletzten habe aktuell absolute Priorität.

Trotz Stopps vieler Tests gab das Gesundheitsministerium am Mittwoch bekannt, dass in den vergangenen 48 Stunden 355 neue Fälle registriert worden seien. Erst am 30. Juli hatte der Libanon strengere Auflagen verhängt, weil die offiziellen Zahlen der Corona-Infektionen gestiegen waren.

Suche nach Vermissten läuft noch

Indes lief die Hilfe vieler Länder und internationaler Organisationen weiter an. Die Weltgesundheitsorganisation brachte 20 Tonnen Hilfsgüter ins Land, um Hunderte Menschen mit Brand- und anderen Verletzungen zu versorgen. Die EU sagte Nothilfe in Höhe von mehr als 33 Millionen Euro zu, um etwa medizinische Ausrüstung zu finanzieren. Auch Israel, mit dem der Libanon keine diplomatischen Beziehungen pflegt, will bei der Versorgung von Opfern helfen.

Rettungshelfer suchten weiter nach Überlebenden. Im Einsatz waren Armeesoldaten, Mitarbeiter des Roten Kreuzes und Freiwillige. Noch immer werden dem Roten Kreuz zufolge rund 100 Menschen vermisst. "Ich warte hier, ich bewege mich nicht weg", rief eine Frau in Nähe des abgesperrten Hafens. "Mein Bruder arbeitete im Hafen und ich habe von ihm nichts gehört, seitdem es die Explosion gab."

(APA/dpa)

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