Ansteckungsgefahr

Schulstart mit Risiken: "Kinder sind keine Bremsklötze der Infektion"

Michael Wagner
Michael WagnerUniversität Wien
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Schüler werden ganz sicher zur Ausbreitung des Coronavirus beitragen, sagt Mikrobiologe Michael Wagner von der Universität Wien. Und plädiert für eine Maskenpflicht auch während des Unterrichts. Dafür sprechen auch neue Erkenntnisse über die Bedeutung von Aerosolen bei der Übertragung des Erregers.

Mitte Juli im US-Bundesstaat Georgia. 597 Kinder und Jugendliche nehmen an einem Sommerlager teil. Es wird gespielt, gesungen, angefeuert, in Innenräumen wie im Freien. Die Unterbringung erfolgt in Hütten mit rund 25 Schlafplätzen. Dann, Ende Juli, muss das Lager nach einem Corona-Fall abrupt abgebrochen werden.

In weiterer Folge stellt sich heraus, dass sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer angesteckt haben, die Suche nach dem Patienten null ist aussichtslos. Allein unter den 100 sechs- bis zehnjährigen Kindern werden 51 positiv getestet. Sie alle hatten vor Beginn des Camps einen negativen Test vorgewiesen, daher mussten sie keine Masken tragen.

„Dieses Beispiel zeigt: Wenn die Umstände stimmen, können auch Kinder einander anstecken, selbst die ganz jungen“, sagt Michael Wagner, Leiter des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. Kinder als „Bremsklötze der Infektion“ zu bezeichnen, wie das zuletzt die Autoren einer Studie der Universität Dresden getan haben, ist Wagner zufolge nicht haltbar.

Denn die meisten Studienergebnisse, auch aus Österreich, wonach Kinder nicht so ansteckend seien wie Erwachsene, stammten aus einer Zeit während oder kurz nach dem Lockdown. In dieser Phase der Epidemie sei die Zahl der Infizierten in der gesamten Bevölkerung gering gewesen. Wagner: „Genauso gut könnte man sagen, dass Erwachsene nicht zur Ausbreitung beigetragen haben. Kinder sind keine Bremsklötze der Infektion.“

Der einzige Unterschied zu Erwachsenen

Tatsächlich ist die Viruslast im Rachenraum infizierter Kinder mindestens so hoch wie bei Erwachsenen. „Jedenfalls nicht niedriger“, sagt Wagner. „Kinder sind also auch ansteckend. Der einzige Unterschied ist, dass sie – warum genau, wissen wir nicht, es gibt nur Vermutungen – häufiger asymptomatisch sind und viel seltener schwere Krankheitsverläufe haben.“ Darauf stützt sich auch die These der geringeren Infektiosität. Denn wegen der milden Verläufe husten Kinder seltener und verbreiten daher weniger Viren.

Was sich aber in den kommenden Monaten ändern wird, schließlich sind Kinder für gewöhnlich zwei bis dreimal pro Herbst und Winter von grippalen Infekten betroffen. Auch bei der Influenza gelten sie als die Treiber schlechthin, was vor allem rund um die Weihnachtsferien deutlich wird – denn bis dahin nehmen die Grippefälle zu, sinken dann während der Ferien, und steigen anschließend wieder stark an. „Kinder werden auch bei der Ausbreitung des Coronavirus ganz sicher eine Rolle spielen“, sagt Wagner. „Wir wissen nur noch nicht, wie groß sie sein wird.“

Erkenntnisse darüber sollen die von Bildungsminister Heinz Faßmann (parteifrei, auf ÖVP-Ticket) angekündigten Prävalenztests liefern. Dafür werden unter Wagners Leitung alle drei Wochen zufällig ausgewählte Schüler getestet, insgesamt wurden 14.000 angefragt. Zum Einsatz kommt die als zuverlässig geltende Gurgelmethode. Dabei wird aus Effizienzgründen Gurgelwasser von zehn Schülern zusammengefasst und getestet. Fällt das Ergebnis positiv aus, werden die Proben erneut einzeln getestet.

Kinder als übersehene Indexpersonen

Wagner ist jedenfalls überzeugt davon, dass Kinder häufiger Indexpersonen von Clustern sind als angenommen. Zum einen, weil sie zumeist keine Symptome zeigen und trotzdem eine hohe Viruslast tragen, zum anderen, weil die Viren im Rachenraum nicht immer lange nachweisbar sind. Steckt also beispielsweise ein asymptomatisches Kind seine Mutter an, die einige Tage später erkrankt, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Kind im Zuge des wiederum einige Tage später stattfindenden Contact Tracing nicht mehr positiv getestet wird und somit nicht als Patient null infrage kommt. Beobachtungen im Ausland geben ihm recht. In Israel etwa wurden nach der Öffnung der Schulen zehn Prozent aller festgestellten Cluster auf diese zurückgeführt, noch häufiger erfolgen Infektionen nur in der Familie.

Wagner plädiert daher für das ständige Tragen von Masken in allen Schulstufen – auch während des Unterrichts. „Aus mikrobiologischer Sicht ist diese Empfehlung eindeutig. Aber am Ende ist das natürlich eine politische Entscheidung, da Masken ja auch einen Einfluss auf den Unterricht haben.“ Zudem gibt es viele Eltern, die das Tragen einer Maske während des Unterrichts für nicht zumutbar halten.

Gesichtsvisiere sind nutzlos

Für eine Maskenpflicht sprechen auch neue besorgniserregende Erkenntnisse über die bisher unterschätzte Bedeutung von Aerosolen bei Übertragungen. Das sind winzige Teilchen im Atem, die infektiöse Viren enthalten und länger in der Luft schweben (vergleichbar mit Zigarettenrauch) als die größeren Tröpfchen. Gegen sie sind im Übrigen auch Gesichtsvisiere nutzlos.

Regelmäßiges Lüften sei zwar unbedingt ratsam, hat im Winter aber eine Kehrseite, denn dadurch wird die Raumluft trocken gehalten. „Und das fördert wiederum Infektionen“, sagt Wagner. „Eigentlich müsste abwechselnd gelüftet und befeuchtet werden, was natürlich nicht umsetzbar ist.“

Ebenso wenig wie das komplette Isolieren von Schulen. Deren Betrieb flächendeckend aufrechtzuerhalten, sei daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Das kann nicht oft genug betont werden“, so Wagner. „Ob beim Bar-, Restaurant- oder Fitnessstudio-Besuch – wenn wir wollen, dass die Schulen offen bleiben, müssen wir alle ein Stück weit zurückstecken und öfter einmal verzichten.“

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