Wien-Wahl

"Wenn er sich traut": Wiener Neos-Auftakt mit Koalitions-Angebot an SPÖ

Neos-Spitzenkandidat betonte pinke Kernthemen Bildung und Kontrolle. Zur allgemeinen Überraschung aber lud er Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) auch zur Koalition ein.
Neos-Spitzenkandidat betonte pinke Kernthemen Bildung und Kontrolle. Zur allgemeinen Überraschung aber lud er Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) auch zur Koalition ein.(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Der Wahlkampfstart der Neos stand im Zeichen pinker Kernthemen wie Bildung und Kontrolle. Überraschend sprach Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr eine Einladung an SPÖ-Bürgermeister Ludwig für ein rot-pinkes Experiment aus.

Die „Ode an die Freude“ stand als erstes am Programm des Wahlkampfauftakts der Wiener Neos, den Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr und Bundesparteichefin Beate Meinl-Reisinger am Freitag in der Neosphäre in der Wiener Neustiftgasse begingen. Infolge der Infektionszahlen und der am selben Tag präsentierten neuen Corona-Verschärfungen hatte man sich, ähnlich wie die ÖVP [premium] und im Gegensatz zur FPÖ [premium] am Tag zuvor, für einen Mini-Event entschieden, der von Neos-Sprecher Ralph Waldhauser moderiert wurde. Übertragen wurde die Veranstaltung per Videostream im Internet.

Meinl-Reisinger und Wiederkehr wurden zunächst gemeinsam auf die Bühne gebeten, ehe Meinl-Reisinger sich „wehmütg“ an ihren eigenen Wien-Wahlkampf 2015 erinnerte, bei dem die Partei erstmals den Einzug in den Wiener Gemeinderat sowie in alle 23 Bezirksparlamente schaffte. Als „leidenschaftliche Wienerin“, wie sie Waldhauser nannte, sei sie auch auf den Neos-Plakaten in ihrer Rolle als „berufstätige Mutter“ zu sehen. Eine Rolle, die sie in den vergangenen Wochen infolge der Coronakrise regelmäßig betonte.

Kritik an Bundesregierung und „Blümel-ÖVP“ 

Hinsichtlich der relativen Unekanntheit Wiederkehrs zeigte sich Meinl-Reisinger sogleich „total entspannt“ und wies wie bereits zuvor auf ihre eigene Unbekanntheit im Jahr 2015 hin. Schade finde sie aber den heurigen „Wahlkampf der besonderen Art“ , weil „das normal die Zeit ist, wo man draußen ist und viele Geschichten hört. Mir geht das ab. Politik lebt davon, dass Menschen in Austausch treten“, sagte sie.

Neben dem Frauenthema, das die Parteichefin zuletzt immer wieder forcierte, betonte Meinl-Reisinger vor allem die Kritik am Corona-Krisenmangement der Bundesregierung. So seien die Neos „die erste und einzige Stimme für die Kinder und Frauen“ in der Krise gewesen, während „parteipolitische Manöver“ sowie „Dilettantismus“ die Corona-Ampel und die -App bereits „vernichtet“ hätten. „Rivalitäten, Eitelkeiten und der eigene Name unter der Schlagzeile in der Zeitung“ zählten mehr als seriöse Politik. 

Debatte um Flüchtlingslager präsent

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der Krise warnte sie davor, dass das „dicke Ende erst kommt“, nicht ohne auf den obligatorischen Seitenhieb auf den ÖVP-Finanzminister und türkisen Spitzenkandidat Gernot Blümel zu vergessen, der sich zwar als „Wirtschaftsretter“ inszeniere, bei dem es zwischen „Pressekonferenz und Realität“ aber eine „kilometerlange Schlucht“ gebe. Die Kritik an den Türkisen fiel angesichts der aktuellen Debatte um den Brand im Flüchtlingslager auf Lesbos und der Frage nach der Aufnahme von Flüchtlingskindern [premium] generell eher deftig aus: „Man hat den Eindruck, dass die ÖVP die FPÖ sein will“, sagte Meinl-Resinger.

Nachdem die Neos in Wien bereits eine Initiative gestartet haben, 100 Kinder aus dem Lager aufzunehmen, sei sie ob des „unfassbaren Zynismus“ von ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg, der sich zuletzt gegen eine Aufnahme ausgesprochen hatte, „fassungslos“. Es sei „unerträglich, dass man vor lauter Reden von Flüchtlingen vergisst, dass es auch um den einzelnen Menschen“ gehe. An den Grünen ließ sie ebenfalls kein gutes Haar: „Die müssen sich selbst in den Spiegel schauen können.“

Koalitionsangebot gehen Attacken gegen Rot voraus

Überraschend kam nach bekannten pinken Forderungen (kleiner Gruppengrößen in Kindergärten, mehr Unterstützungsperonal an den Schulen, weniger Bürokratie für Unternehmer) schließlich folgende Aussage: „Die SPÖ braucht jemanden, der ihr auf die Finger schaut. Aber muss das immer aus der Opposition heraus passieren? Ich denke schon, dass das mit Pink möglich ist.“ Damit sprach Meinl-Reisinger erstmals ein direktes Koalitionsangebot an SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig aus. Eines, das Spitzenkandidat Wiederkehr, der bisher scharf gegen die „Freunderlwirtschaft“ der SPÖ geschossen hatte, später in seiner Rede ebenfalls wiederholten sollte: „Die SPÖ braucht dringend einen Koalitionspartner, der ihm genau auf die Fingern schaut. Wenn sich Ludwig traut, mit uns zu koalieren“, sagte er.

Angesichts einer Tirade an Attacken gegen die Roten kam dieser Appell durchaus überraschend. So referierte Wiederkehr zunächst von einem drohenden zweiten Krankenhaus-Nord-Skandal, der sich bei den derzeitigen Verzögerungen beim U2- und U5-Ausbau bereits abzeichne. „Es passiert gerade das gleiche wie vor der Wahl 2015: Zuerst wird vertuscht und dann gepfuscht.“ Das ihm sichtlich am Herzen liegende Thema Bildung ließ Wiederkehr schließlich zu starken Bildern und weiteren SPÖ-Attacken greifen, die an die teils melodramatische Metaphorik von Ex-Parteichef Matthias Strolz erinnerten: „Nichts macht micht wütender, als wenn man die Zukunft von Kindern verspielt.“ Die SPÖ sei für den „Bildungsnotstand in dieser Stadt verantwortlich“, in dem „Kinder in unserer Gesellschaft keinen Platz finden und sich in Wien nicht zu Hause fühlen.“ Mit Neos würde das SPÖ-Verprechen nach dem Bildungsaufstieg erneuert. Denn: „Träume sind kein Tabu, sondern Pflicht.“ 

Eine konkrete pinke Forderung etwa sei die „Sprachoffensive“, bei der 100 zusätzliche Sprachlehrer an Schulen geschickt werden sollen, um nicht nur Deutsch sondern auch die Muttersprache von Kindern mit Migrationshintergrund zu fördern. „Sprachen trennen nicht sondern verbinden“, sagte Wiederkehr. „Eine moderne Bildung heißt auch, die Muttersprache zu können und zu fördern.“ 

Wunsch nach neuer Landeshymne

Dazu passend will Wiederkehr auch den vielen Menschen in der Stadt, die kein Wahlrecht haben (knapp 30 Prozent der Wiener Bevölkerung), dieses zugestehen: Diese „Entkopplung von Menschen und der Stadt“, sei unfair, darum fordert er ein Wahlrecht für alle EU-Bürger. Zur Lage in Moria fand Wiederkehr ebenfalls eindeutige Worte: „Wir machen so lange Druck, bis diese Kinder in Wien in Sicherheit sind.“ Wiederkehr zeigte sich „besonders enttäuscht“ von den Grünen, die er früher einmal gewählt habe und der ÖVP, die „zynische und unmenschliche Politik“ betreibe und „die Freiheitlichen kopiert.“

Abschließend schwenkte Wiederkehr noch zum Kernthema Selbsständigkeit sowie Unternehmergeist, „den die Stadt unterdrückt“. Die Luftsteuer gehöre abgeschafft, die unnötige Bürokratie zurückgeschraubt. Und: Eine eigene Wiener Landeshymne solle künftig die „Werte der Weltoffenheit“ Wiens auch musikalisch ausdrücken. Denn : „Es braucht eine neue Wiener Erzählung.“

(juwe)

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