Wählen nach der Wahl wird Realität

WIEN. Opposition befürchtet nachträgliche „Korrekturen“ durch taktische Briefwähler. Anfechtung steht im Raum.

Wien. Am 10. Oktober wählt Wien einen neuen Gemeinderat. Und wenn das Ergebnis am Sonntag nur einer Landesparteizentrale nicht gefällt, sind mit ein wenig Geschick gesteuerte Korrekturen in gar nicht so geringem Ausmaß möglich. Das erlaubt – zumindest theoretisch – die neue Wahlordnung. Das kritisiert die Opposition. Und das führt möglicherweise dazu, dass es gleich mehrere Versuche geben wird, die Wahl anzufechten.

Offen sagt es zwar niemand, doch hinter vorgehaltener Hand halten alle Oppositionsparteien Manipulationen für möglich. Das endgültige Ergebnis wird heuer frühestens am 18. Oktober feststehen. Bis zu diesem Tag werden Briefstimmen berücksichtigt.

In der Praxis könnte das dann so aussehen: Obwohl Briefwähler an Eides statt erklären, spätestens bis zu Wahlschluss ihr Kreuzerl gemacht zu haben, ist das Abwarten des vorläufigen Ergebnisses am Sonntag möglich. Die Stimmen können nämlich innerhalb der nächsten acht Tage bei der Wahlbehörde abgegeben werden. Eine Kontrolle durch die Sichtung des Poststempels gibt es nicht. Damit werden taktisches Wählen sowie die nachträgliche Mobilisierung von Nichtwählern Realität.

100.000 Anträge erwartet

Doch es geht noch weiter. Für kommende Wahlen sieht die Wahlordnung nämlich Wahlabos vor. Wer ein solches bestellt, erhält künftig ohne Antrag alle Wahlkarten an die angegebene Adresse zugestellt, nicht per Einschreiben, sondern als Postwurfsendung. Jeder, der Zugang zu Wohnung oder Briefkasten hat, kann so die Wahlkarte eines anderen ausfüllen. Wer vergisst, bei einem Umzug auch die neue Adresse bekannt zu geben, muss damit rechnen, dass künftig ein Unbekannter für ihn die Stimme abgibt.

Beschlossen hat diese Wahlordnung die Wiener SPÖ im Frühling 2010 im Alleingang. Die Begründung: „Die Wahlordnung für Landeswahlen darf für die Bürger nicht schlechter sein als bei Bundeswahlen“, sagt Landesparteisekretär Christian Deutsch.

Andererseits: Inzwischen gibt es im Nationalrat bereits Bestrebungen aller Parteien, die Missbrauchsmöglichkeiten bei der Briefwahl wieder zu minimieren. Das Gefahrenpotenzial dazu ist in Wien groß. Experten rechnen mit 100.000 Anträgen für die Stimmabgabe mittels Wahlkarte (im Wahllokal) oder Brief. Eine Wählergruppe, die wegen ihrer Zahl nachträglich viel bewegen könnte.

Stichtag bereits vorbei

„Wir werden die Wahl nicht aus Prinzip anfechten“, sagt Grünen-Gemeinderat Martin Margulies. „Stellt sich aber heraus, dass in der Woche nach der Wahl Briefe in einer von den bisherigen Erfahrungen abweichenden Frequenz eingehen, werden wir uns das genau anschauen.“ Margulies spielt damit auf die Merkwürdigkeit an, dass bei der Volksbefragung im Winter ein Drittel aller Briefstimmen erst nach der Verkündung des vorläufigen Endergebnisses einlangte.

Während die ÖVP vor allem die Wahlergebnisse in den Hoffnungsbezirken Josefstadt und Wieden unter die Lupe nehmen will, hat die FPÖ ein Problem mit dem „Demokratieverständnis der SPÖ“. Gemeinderat Dietbert Kowarik räumt einer Anfechtung, die er für seine Partei weder ein- noch ausschließen will, juristisch gute Chancen ein.

Selbst wenn die SPÖ die Wahlordnung nun noch schnell ändern wollte (was sie laut Christian Deutsch „definitiv nicht“ will), wäre der Zug inzwischen abgefahren. Der Stichtag (10.8.) für die Ermittlung der Wahlberechtigten ist nämlich schon vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2010)

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