Gartenkralle

Kälte für stachelige Blüher

Epiphyllum-Blüte.
Epiphyllum-Blüte.Woltron
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Die Kakteenblüte ist immer ein Ereignis, doch was machen Kaktusliebhaber falsch, wenn sie sich nicht und nicht zeigen will? Winterruhe und eine Prise Kälte sind der Trick.

Vorab eine rührende kleine Geschichte: Vor einigen Jahren wurde in der Nachbarschaft ein altes Bauernhaus geräumt, seine betagte Besitzerin war einige Zeit zuvor verstorben. Das Häuschen war zumindest für drei Jahre leer gestanden, bevor es verkauft, die Möbel abtransportiert, die Wände neu gestrichen wurden. Als man zuletzt auch in den Lehmkeller vordrang, ein stockfinsteres Loch, in dem früher die Ernte des Gartens für den Winter lagerte, fanden sich neben allerlei Gerümpel auch zwei Blumentöpfe – von der alten Dame im letzten Herbst ihres Lebens offenbar zum Überwintern vorsorglich dort abgestellt. In diesen beiden Blumentöpfen waren einmal Kakteen gewachsen, nun waren sie zu Skeletten vertrocknet und in der Finsternis schneeweiß geworden.

Aus Gründen der Nostalgie gab es Leute, die sich dieser mageren und scheinbar von uns gegangenen Pflanzenreste annahmen. Sie wurden im Frühjahr hervorgeholt, vorsichtig angegossen und langsam wieder an das Licht gewöhnt. Sie überlebten, sogen Wasser, wurden weniger blass, sogar grün, kamen wundersam schnell wieder zu Kräften – und noch im Spätsommer ihrer Rettung bildeten die kurz zuvor noch so verhutzelten kleinen Stachelwürzchen Blütenkelche aus, wie sie schöner kaum sein konnten: Knallorange mit weißen Staubfäden. Nicht einen oder zwei. Dutzende. Diese Kakteen blühten, als ob sie nie vergessen worden wären. So wie ihre vormalige Besitzerin unvergesslich blieb.

Kakteen und ihre Überlebenskunst sind eines der vielen Wunder der Natur, das bemerkt man spätestens ab dem Moment, wenn sie aufblühen. Die Kakteenblüte ist, egal, wie oft man sie schon beobachten durfte, immer ein feierlicher Moment. Manche Knospen öffnen sich im Zeitraffertempo und nur in der Nacht, sind bereits wieder verblüht, wenn die Sonne aufgeht. Andere blühen wochenlang. Mitunter ist eine Kakteenblüte größer als der ganze Kaktus. Dann wieder sind die Blüten winzig, aber fast so zahlreich wie die Kaktusstacheln selbst. Von den vielen Formen und Farben ganz zu schweigen.

Warum aber, das fragt sich so mancher, blüht mein Kaktus nie? Auch bei bester Pflege nicht! Er bekommt die richtige Kakteenerde, die mager ist und sandig und die das Wasser gut abtransportiert, auf dass der Kaktus nie zu feucht steht. Er wird regelmäßig, jedoch immer so gegossen, dass das Substrat zwischendurch austrocknen kann, weil jedes Kind weiß, dass die Kaktuswurzeln empfindlich sind und bei Dauerfeuchte schnell faulen. Er steht in voller Sonne und muss nicht im Schatten darben, und in der wärmeren Jahreszeit wird er regelmäßig mit dafür vorgesehenen Spezialdüngern genährt und verwöhnt. Warum, also, blüht er nicht?

Die Antwort ist simpel und einleuchtend: Nicht alle, doch die meisten Kakteen brauchen eine Phase empfindlicher Kälte in ihrer winterlichen Ruhezeit, um zur Knospenbildung angeregt zu werden. Kein Kaktus steht in der freien Natur rund ums Jahr im Sommer und in der ewigen Hitze. Die Wüstengegenden Nord-, Mittel- und Südamerikas, aus denen die meisten Kakteen stammen, sind trockene, karge Gegenden, in denen es nächstens auch im Sommer oft kalt ist, winters sowieso.

Wer seinen Kaktus also im verschwenderischen Brautkleid der Blüte betrachten will, muss ihn kalt und trocken über den Winter bringen. Die ideale Temperatur liegt um die acht, höchstens zehn Grad, nächtens darf sie ruhig bis auf fünf Grad zurückgehen. Und auch im Sommer soll der Kaktus, der tagsüber in der prallen Sonne jeder Hitze trotzt, in der Nacht möglichst kühl, idealerweise also im Freien stehen. Das entspricht seinem Naturell. Allerdings bestätigen einige Ausnahmen die Regel. Manche Kakteen aus eher dschungeligen Lagen vertragen die Kälte nicht. Eine informative Seite zu diesem Thema bietet der den meisten Kakteenfreundinnen bekannte deutsche Kakteenversand Uhlig, der mehr als 5000 Arten feilbietet und auf dessen Website www.uhlig-kakteen.de die Ausnahmen extra angeführt sind.

Sicherheitshalber hier die paar Grundregeln in Kürze: Nur Kakteenerde verwenden. Nur alle zwei, drei Jahre im Frühling umtopfen. Im Winter bei kühlem Stand gar nicht gießen. Sommers möglichst sonnig-heiß im Freien positionieren und zwischen den Güssen immer austrocknen lassen. Sobald Sie die erste Kakteenblüte dann vor sich haben, laufen Sie Gefahr, süchtig nach diesen bizarren Pflanzen zu werden. Dann wollen Sie schon bald nicht nur einen Kaktus, der rot blüht, sondern auch einen in Rosa, in Weiß, in Gelb, in Pink, groß und winzig und gefiedert und in Sternchenform. Legen Sie eine kleine Sammlung an und tauchen Sie ein in die oft bizarre und faszinierende Welt der Wüstengewächse.

Tipps

Substrat. Für einen optimalen, schnellen Wasserabzug sorgt hier der Quarzsand, der das Substrat durchlässig macht und ein Faulen der gegen jede Staunässe höchst empfindlichen Kakteenwurzeln verhindert.

Dünger. Kakteen sind absolute Schwachzehrer, entsprechend milde zusammengesetzt muss auch der für sie geeignete Dünger sein. Gedüngt wird ausschließlich in der Wachstumsphase und das nur alle zwei Wochen.

Handschuhe. Gerade die Kakteen mit den unscheinbarsten Stacheln können die gemeinsten sein, beispielsweise die feinstacheligen Opuntien. Greifen Sie Ihre Kakteen niemals ohne Handschuhe an, Sie werden es bitter bereuen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2020)

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