Der ökonomische Blick

Ökonomie und Impfstrategie: SARS-CoV-2 Impfungen zu verkaufen!?

CORONA: START DER IMPFUNGEN IN DEN WIENER COVID-STATIONEN
CORONA: START DER IMPFUNGEN IN DEN WIENER COVID-STATIONENAPA/GEORG HOCHMUTH
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Zahlungen für Gesundheitsleistungen werden oft mit gutem Grund als anstößig empfunden. Doch ein Handel mit Impfungen innerhalb von Risikogruppen könnte auch Vorteile für die Gesellschaft bringen.

Die aktuelle Diskussion zur Reihenfolge von SARS-CoV-2 Impfungen sollte nicht nur aus medizinisch epidemiologischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht geführt werden. Im Grunde stellt sich ja die Frage, wie die verfügbaren Impfdosen so verteilt werden können, dass der Gesamtnutzen der Gesellschaft maximiert wird. Die Abfolge sollte also durch einen Mechanismus von statten gehen, der so effizient wie möglich zuteilt. Beobachtbares „Vordrängeln“ führt nicht nur zu Verunsicherung und Frust in der Bevölkerung, sondern verursacht auch Kosten für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem.

Der Nutzen einer Impfung hat nämlich zwei Teile: einen individuellen, der dadurch begründet ist, dass die geimpfte Person vor Ansteckung durch andere geschützt wird; und einen externen Nutzen, der der Allgemeinheit dadurch entsteht, dass eine geimpfte Person die Krankheit (vermutlich) nicht weiter verbreiten kann. Ein weiterer externer Effekt, der im Kern des öffentlichen Interesses steht, entsteht dadurch, dass das Impfen einer Person dazu führt, dass eine andere Person nicht geimpft werden kann. Dieser Aspekt fließt aber in die individuelle (egoistische) Impfentscheidung üblicherweise nur in ungenügendem Ausmaß ein.

Aus ökonomischer Sicht stellt sich daher die Frage, ob und wie Individuen dazu gebracht werden können diese Externalitäten (also Kosten für die Gesellschaft) in ihre Entscheidung einzubeziehen.

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Die ökonomische Standardantwort wäre die Schaffung monetärer Transfers. Aus der Literatur ist nämlich bekannt, dass durch Transferzahlungen, effiziente Allokationen erreicht werden können (sogenannte Vickrey-Clarke-Groves Mechanismen). Man könnte nun also jeder Person, die sich impfen lässt, etwas dafür bezahlen. Zusätzlich oder alternativ dazu, könnte man Personen, die sich nicht impfen lassen wollen, die externen Kosten ihres Handelns in Rechnung stellen. Oder man könnte sogar den Handel von „Impfplätzen“ (innerhalb von Risikogruppen) zulassen. Ganz grundsätzlich gilt, dass je nachdem welche Instrumente die Politik den Designern der nationalen Impfstrategie erlaubt, verschiedene Folgen für den Gesamtnutzen der Gesellschaft zu erwarten sind. Das Repertoire reicht vom einfachsten und politisch wohl unverträglichsten staatlichem Impfzwang über „Freitesten“ aus der Quarantäne bis zu Wirtshaus- & Reiseverboten für Ungeimpfte. Diese letztgenannten Maßnahmen können aber im Unterschied zum offenen Handel von Impfplätzen nicht einmal theoretisch eine effiziente Allokation erreichen.

In der österreichischen Impfstrategie werden Personen in verschiedene Gruppen eingeteilt und innerhalb dieser Risikogruppen grundsätzlich mit gleicher Priorität behandelt. Eine zufällige Impfreihenfolge ist aber nicht notwendigerweise die beste Lösung. Ein Krankenpfleger kann sehr hohen Patientenverkehr haben, während das bei seiner Kollegin mit Leitungsfunktion mit nur geringerem Ausmaß der Fall ist. Ein Arzt könnte aufgrund des nahenden Ruhestands nur noch mit geringem Patientenkontakt rechnen, eine Kollegin könnte vermuten ohnehin bereits immun zu sein. Diese individuelle Information steht den Impfstrategen nicht zur Verfügung. Wenn aber die Möglichkeit bestünde Impfplätze zu tauschen beziehungsweise zu verkaufen, würde der Markt dafür sorgen, dass jene mit der höchsten individuellen „Wertschätzung,“ d.h. individuell höchster Risikoeinschätzung, zuerst geimpft werden. Jene, die zugunsten anderer zurückgestellt werden, könnten wiederum von etwaigen Transferzahlungen profitieren. Aus ökonomischer Sicht wird die Warteschlange also effizienter, da Personen mit hohen Wartekosten zuerst immunisiert werden. Außerdem hätten Impfgegner, für die eine Impfung ohnehin nicht in Frage kommt, einen Anreiz ihre Position in der Warteschlange aufzugeben. Zudem könnte eine marktbasierte Impfreihenfolge nachvollziehbar transparent gestaltet werden und könnte damit politischer Einflussnahme und Schwarzmarktzuteilung zu einem gewissen Grad vorgreifen.

Eine Effizienzsteigerung durch marktbasierte Allokation geht jedoch zulasten jener, die zwar hohe Wartekosten haben, es sich aber (weil zum Beispiel der Arbeitsplatz der Pandemie zum Opfer fiel), einfach nicht leisten können einen frühen Impfplatz zu erkaufen. Ohne öffentliche Zuschüsse kann ein derartiger Mechanismus also nicht auskommen beziehungsweise wäre grotesk unfair. Wenn die öffentliche Hand Transferzahlungen bezuschusst, könnten auch die oben genannten externen Effekte (annähernd) adäquat abgegolten werden. So könnten also beispielsweise Personen, die aus beruflichen Gründen die Gefahr bergen, das Virus weiterzuverbreiten, vor einer Rückstellung in der Impfreihenfolge geschützt werden. Ebenso könnte man Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so bald wie möglich aus dem Home Office holen oder Reisetätigkeit ermöglichen möchten, dazu verpflichten für die entstehenden individuellen und externen Kosten aufzukommen. Durch die Zahlungen der vorgereihten Personen, werden die Wartenden kompensiert, der Gesamtnutzen der Gesellschaft wird erhöht, gleichzeitig kommt vulnerablen Personengruppen Schutz zu, das Gesundheitssystem wird entlastet.

Zahlungen für Gesundheitsleistungen und (im Extremfall) Menschenleben werden oftmals und mit gutem Grund als anstößig empfunden. Zu den oben angesprochenen Einkommensunterschieden kommen noch eine Reihe anderer ökonomischer und ethischer Einwände hinzu, die eine Ausweitung des Marktes im Allgemeinen weder wünschenswert noch sinnvoll machen. Allerdings sollte die Abwägung zwischen Nutzenmaximierung der Gesamtgesellschaft und den ethischen und moralischen Kosten einer möglichen Effizienzsteigerung explizit angesprochen werden. Jedenfalls müssen in einer Situation, in der Menschenleben durch eine effizientere Impfstrategie gerettet werden können, die Instrumente, die den Impfstrategen zur Verfügung gestellt werden, offen diskutiert und evaluiert werden.

Der Autor

Paul Schweinzer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Klagenfurt. Er ist angewandter Spieltheoretiker und beschäftigt sich mit Evaluation und Design anreizkompatibler Mechanismen.

Paul Schweinzer
Paul Schweinzer(c) Walter Elsner (riccio.at)

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