Welthandel

Afrikanerin Okonjo-Iweala soll neue WTO-Chefin werden

Okonjo-Iweala wird die Leitung der WTO in ihrer schwersten Krise seit der Gründung 1995 übernehmen
Okonjo-Iweala wird die Leitung der WTO in ihrer schwersten Krise seit der Gründung 1995 übernehmen APA/AFP/FABRICE COFFRINI
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An der Spitze der Welthandelsorganisation in Genf soll in Kürze erstmals eine Frau und erstmals jemand vom afrikanischen Kontinent stehen.

Der Rat der 164 WTO-Mitgliedsländer will die Ernennung der nigerianischen Ökonomin und Entwicklungsexpertin Ngozi Okonjo-Iweala (66) zur Generaldirektorin am Montag (ab 15.00 Uhr) in Genf beschließen. Das Prozedere dürfte reine Formsache sein, seitdem zuletzt auch die USA ihre Zustimmung signalisiert hat.

Als einziges Land hatten sich die USA unter Präsident Donald Trump im Oktober gegen die Ernennung von Okonjo-Iweala gestellt. Die neue US-Regierung hob die Blockade vergangene Woche auf und sprach Okonjo-Iweala ihr Vertrauen aus. Sie hatte sich in einem mehrmonatigen Auswahlprozess gegen Mitbewerber durchgesetzt. Sie folgt auf Roberto Azevêdo, der seinen Posten im Sommer 2020 vorzeitig geräumt hatte. Er wechselte zum US-Getränkehersteller Pepsico.

Okonjo-Iweala würde die Leitung der WTO in ihrer schwersten Krise seit der Gründung 1995 übernehmen. Die Organisation soll für mehr Wohlstand aller Länder durch eine Liberalisierung des Welthandels unter fairen und nachhaltigen Bedingungen sorgen. Die 2001 gestartete Doha-Welthandelsrunde ist aber gescheitert, und es gab seitdem nur wenig neue Handelsinitiativen. Das Herzstück der Organisation, die Streitschlichtung bei Handelsdisputen, ist gelähmt, weil die USA seit Jahren die Ernennung neuer Berufungsrichter blockieren. Seit Ende 2019 können deshalb keine Berufungen mehr verhandelt werden. Die US-Regierung wollte mit ihrer Haltung Reformen durchsetzen, legte aber wenig konkrete Forderungen vor. Reformbedarf sehen auch andere Länder.

Frischer Wind

Wo die renommierte Entwicklungsökonomin auftaucht, macht sie eine imposante Figur. Die Nigerianerin hat sich trotz Jahrzehnten in den USA unter Anzug- und Kostümträgern und -trägerinnen ihren Stil bewahrt: Sie trägt sehr bunte Kleider, groß gemustert, fast immer mit verwegen gebundenem Kopftuch. Sie habe sich einst für die traditionelle nigerianische Kleidung entschieden, als es schnell gehen musste, wenn sie ihre vier Kinder morgens zur Schule brachte, berichtete sie 2012 der BBC. Sie sei dabei geblieben, und es rentiere sich: umgerechnet 25 Euro zahle sie pro Outfit, meinte sie damals.

"Ich möchte die Organisation neu beleben", sagte Okonjo-Iweala bei der Bewerbung um den Posten. Wobei es ihr nicht nur um eine bessere Frauenpräsenz geht. Die WTO braucht dringend frischen Wind. Sie ist seit Langem durch Grabenkämpfe zwischen Ländern des Südens und des Nordens und durch die Blockadehaltung der US-Regierung unter Donald Trump gelähmt. "Ich bin eine Macherin", versprach Okonjo-Iweala. "Handel ist wichtig für Wohlstand, Widerstandskraft und nachhaltiges Wachstum, und die WTO ist zentral dafür", meinte sie. "Wenn wir die WTO nicht hätten, müssten wir sie erfinden."

Der geradlinige Stil, den sie durch ihre Kleidung zeigt, könnte auch ihr Arbeitsmotto sein: Ärmel hoch und anpacken. So führte sie als Nummer zwei die Weltbank in Washington, wo sie in der Finanzkrise 2009 kurzfristig Programme für die ärmsten Länder auflegte. So stieg sie als Finanzministerin in den Ring gegen die Korruption in Nigeria. Als ihre eigene Mutter entführt wurde, um sie zum Rücktritt zu zwingen, zuckte sie nicht mit der Wimper. Die Mutter kam frei.

Okonjo-Iweala war zuletzt Vorsitzende der Impfallianz Gavi, die zur Zeit das Impfprogramm gegen das Coronavirus koordiniert. Sie war zuvor 25 Jahre lang bei der Weltbank, und zwischendurch zwei Mal Finanzministerin in ihrem Heimatland sowie kurz Außenministerin. Die Professorentochter wurde von den Zeitschriften "Time", "Forbes" und anderen in den vergangenen zehn Jahren mehrmals unter den 100 einflussreichsten Menschen der Welt aufgeführt. Sie hat in den USA an den Elite-Universitäten Harvard und MIT Wirtschaftswissenschaften und Entwicklungsökonomie studiert und dort promoviert.

In Nigeria steht Okonjo-Iweala hoch im Kurs. Sie gilt als eines der erfolgreichsten Regierungsmitglieder, seit sie 2005 unter anderem mit reichen Ländern einen Schuldenerlass im Umfang von 30 Milliarden Dollar aushandelte. Sie gilt zudem als Architektin eines besseren Managements der Einnahmen aus dem Ölgeschäft, dem größten Batzen bei der Finanzierung des Staatshaushalts.

Okonjo-Iweala ist mit einem Neurochirurgen verheiratet und hat neben der nigerianischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.

(APA/dpa)

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