USA: Eine Rettungsaktion für die Geschichtsbücher

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Zwei Billionen Dollar nahm die US-Regierung in die Hand, um einen Absturz zu verhindern. Über Sinn und Wirkung der Maßnahmen scheiden sich die Geister. Die Konjunktur kommt nur äußerst langsam in Schwung.

Henry Paulson konnte es nicht fassen. Ausgerechnet er, der ehemalige Chef der Investmentfirma Goldman Sachs, bekennender Republikaner, treuer Anhänger des kapitalistischen Systems, ausgerechnet er saß an jenem Septembermorgen auf der Anklagebank des US-Kongresses und musste sich „Sozialist“ und „Linker“ schimpfen lassen. „Zuerst dachte ich, ich bin in Frankreich“, brüllte der Abgeordnete Jim Bunning den Finanzminister an. „Doch es ist schlimmer: Ich sehe Sozialismus pur, hier in den USA.“

Wenn Bunning damals, Anfang September 2008, geahnt hätte, dass das alles erst der Anfang ist. Paulson hatte die Gesetzgeber um Erlaubnis gebeten, 110 Mrd. Dollar in die angeschlagenen Hypotheken-Finanziers Fannie Mae und Freddie Mac stecken zu dürfen. „Wenn wir das nicht tun, bricht die Wirtschaft zusammen“, soll Paulson den Abgeordneten im Vertrauen gesagt haben.

Der Finanzminister bekam die Erlaubnis, trotzdem stand die Weltwirtschaft eine Woche später am Abgrund. Lehman Brothers meldete am 15. September die Insolvenz an, die bisher größte in der US-Wirtschaftsgeschichte.

Rekorddefizit, viele Arbeitslose

Was folgte, war der Absturz in eine tiefe Rezession. Die Wirtschaftsleistung ging in der größten Volkswirtschaft der Welt im Vorjahr um 2,9 Prozent zurück, auch die Weltkonjunktur brach ein, erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges.

Noch unter George W. Bush arbeiteten die Amerikaner ein Stimulus-Paket in Höhe von 787 Mrd. Dollar aus, das von Barack Obama im Februar 2009 verabschiedet wurde. Außerdem steckten die Vereinigten Staaten 386 Mrd. Dollar in angeschlagene Firmen, vor allem Banken und Autobauer. Rechnet man weitere kleinere Hilfsmaßnahmen sowie den Ankauf „fauler“ Hypotheken dazu, nahmen die USA über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren zwei Billionen Dollar zur Rettung der Konjunktur in die Hand.

Über Sinn und Wirkung scheiden sich die Geister. Die USA sehen sich heuer mit einem Rekorddefizit in Höhe von 1,4 Billionen Dollar konfrontiert. Die Gesamtverschuldung hat bereits die Schwelle von 90 Prozent der Wirtschaftsleistung überschritten. Trotz riesiger Hilfspakete kommt die Konjunktur äußerst langsam in Schwung. Und die Arbeitslosigkeit hat sich bei über neun Prozent eingependelt.

AIG will Staatshilfe zurückzahlen

Notenbankchef Ben Bernanke argumentiert, dass ohne den Rettungsring alles viel schlimmer gekommen wäre. „Segnen wir das Paket nicht ab, gibt es nächste Woche keine Wirtschaft mehr“, sagte Bernanke Ende 2008 vor dem US-Kongress bewusst dramatisch, um die Gesetzgeber zu überzeugen. Vergangene Woche verteidigte der Banker seine Strategie: „Das Schlimmste ist abgewendet.“

Manche Ökonomen wie der New Yorker Nouriel Roubini sehen das anders. Sie befürchten, dass die USA vor einer erneuten Rezession stehen. Tatsächlich ist das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal deutlich zurückgegangen, auf 1,6 Prozent.

Hoffnung, einen großen Teil des investierten Kapitals plus Zinsen zurückzubekommen, dürfen sich indes die Steuerzahler machen. Von den 386 Mrd. Dollar, die der Staat in angeschlagene Firmen gesteckt hatte, wurden bereits 200 Mrd. Dollar zurückgezahlt. Der größte ausständige Posten betrifft AIG. Der Versicherer erhielt 120 Mrd. Dollar. Am Dienstag verkündete die Firma, 2011 mit der Rückzahlung beginnen zu wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2010)

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