Impfstreit

Von der Leyen droht AstraZeneca: "Erst Vertrag einhalten, dann exportieren"

European Commission President Ursula von der Leyen addresses the media about the covid-19 passport at the Berlaymont, th
European Commission President Ursula von der Leyen addresses the media about the covid-19 passport at the Berlaymont, thimago images/Le Pictorium
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Im Interview mit der „Presse“ und anderen europäischen Zeitungen stellt die EU-Kommissionspräsidentin dem Pharmakonzern und den Briten die Rute ins Fenster. Die Kritik von Kanzler Kurz an der EU-Impfstrategie nimmt sie diplomatisch zur Kenntnis.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission ist tief verärgert über die anhaltenden Lieferausfälle des britisch-schwedischen Impfstoffherstellers AstraZeneca und scheut vor breiten Exportverboten für dessen Produkt nicht zurück. „Alle Optionen sind auf dem Tisch“, sagte sie am Donnerstag in Brüssel in einem Gespräch mit der „Presse“ und anderen europäischen Zeitungen. „Die Botschaft an das Unternehmen ist klar: zuerst halten Sie Ihren Vertrag ein, bevor Sie exportieren.“

Ihre Maxime laute: „Der beste Weg, um das Virus zu bekämpfen, ist das Impfen. Wir ergreifen darum jedes mögliche Mittel, um die Liefermengen der Impfstoffe zu stabilisieren und zu erhöhen. Wir wollen Gegenseitigkeit. Ich kann den europäischen Bürgern nicht erklären, wieso wir in Länder exportieren, die eine viel höhere Impfrate haben als wir.“ Und sie stellte allen voran AstraZeneca die Rute ins Fenster: „Je schneller die Unternehmen liefern, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir Exporte tolerieren können. Am besten wäre es, wenn die Unternehmen europäische Lieferungen priorisieren, wenn sie in Europa produzieren."

„Wir sehen den Effekt des Impfens"

Ihre am Mittwoch angekündigte Verschärfung der erst Ende Jänner eingeführten Exportkontrolle für Covid-Impfstoffe möchte sie darum auf dem Europäischen Rat nächste Woche beschlossen sehen: „ Das ist der Ort, wo wir beschließen müssen, wie es weitergeht. Es ist Zeit, dass wir die Gegenseitigkeit diskutieren, damit auch AstraZeneca-Impfstoff von den Fabriken im Vereinigten Königreich in die EU kommt, und nicht nur umgekehrt.“

Das sei auch der Grund, weshalb die Kommission am Donnerstag ein förmliches Aufforderungschreiben an die Konzernleitung geschickt habe: „Es gibt viele offene Punkte betreffend den Vertrag. Der beste Weg, das zu klären Streitschlichtungsverfahren. Dessen erster Schritt ist das Aufforderungsschreiben, das wir jetzt verschickt haben.“ Über den Inhalt ihres Telefonats mit dem britischen Premierminister, Boris Johnson, am Mittwoch wollte sie nichts sagen: „Unsere Teams sind in ständigem Kontakt."

Unmittelbar vor dem Interview hatte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) einen direkten Zusammenhang zwischen mehreren tödlichen Blutgerinnseln bei Geimpften und dem Vakzin ausgeschlossen, und dessen Anwendung weiterhin empfohlen. Von der Leyen reagierte darauf sichtlich erleichtert: „Die EU hat bisher rund sieben Millionen Menschen mit AstraZeneca geimpft. Allgemein sehen wir, dass die Ergebnisse gut sind. Es war sehr wichtig, dass die EMA sich die Zeit genommen hat, tief in die Daten einzutauchen und zum Schluss zu kommen, dass der Impfstoff sicher und wirksam ist. Wir sehen in den Mitgliedstaaten, dass die Todesraten der Über-80-Jährigen sinken. Sie waren die ersten, die geimpft wurden. So sehen wir den Effekt des Impfens."

„Pro-Kopf-Verteilung der Impfstoffe fairster Zugang"

Wenig erfreut, aber betont diplomatisch gab sich von der Leyen hinsichtlich der scharfen Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz an der EU-Impfstrategie, welche die Kommission geplant und in Form der Rahmenverträge mit sechs Herstellern umgesetzt hat. „Um Missverständnisse auszuräumen: die Europäische Kommission hat von Anfang an vorgeschlagen, dass die Impfstoffe in den Verträgen auf pro-Kopf-Basis verteilt werden. Wir denken, dass das der fairste Zugang ist.“ Das sah man in manchen Hauptstädten anders: „Die Mitgliedstaaten haben einen anderen Zugang gewählt. Sie wollten manchmal den Anteil an dem einen Impfstoff senken und den an einem anderen erhöhen. Darum wurde der Verteilungsmechanismus zwischen allen Mitgliedstaaten von ihnen allein beschlossen.“

Das Lieferversagen von AstraZeneca (bestensfalls 30 Prozent der fürs erste Quartal versprochenen Menge) sei „drastisch“und habe zu Ungleichgewichten geführt in jenen Ländern, die im Spätherbst vorigen Jahres vor allem auf diesen billigsten der Anbieter gesetzt hatten. „Darum habe ich herausverhandelt, dass zehn Millionen Dosen BioNTech-Pfizer vom Herbst ins zweite Quartal vorgezogen wird. Meine Empfehlung ist nun, das zu verwenden, um die Lücke zu füllen. Das wäre genug, um die Verteilung wieder auszugleichen."

Kein Kommentar zu Kurz' Impfstoffforderung

Dafür müssten allerdings andere Mitgliedstaaten auf ihren im Dezember schon fixierten Anteil an diesen zehn Millionen Dosen verzichten. Das ist angesichts des europaweiten Mangels an Vakzinen höchst fraglich. Am Freitag wird im Steuerungskomitee der 27 Regierungen über diese Frage gestritten werden. Die Frage der „Presse“ nach Kurz' Forderung, 400.000 zusätzliche Dosen aus dieser vorgezogenen BioNTech-Pfizer-Bestellung und somit mehr zu bekommen, als Österreich im Dezember zugeteilt wurde, beantwortete von der Leyen nicht. Hat sie mit ihm seit seiner Pressekonferenz vom Freitag voriger Woche geredet, auf der er die Impfstrategie als „Basar“ kritisierte? „Ich bin in ständigem Kontakt mit den Staats- und Regierungschefs, auch mit dem österreichischen Kanzler."

Auch die Israelreise von Kurz und der dänischen Ministerpräsidentin, Mette Frederiksen, die von der „Bild-Zeitung“ auf Seite 1 mit „Kanzler Kurz bricht mit EU-Versagern“ kommentiert wurde, nimmt von der Leyen stoisch: „Es war für sie wichtig zu sehen, ob sie bessere Ideen mit nach Hause bringen können. Denn ganz gewiss ging es nicht um die Produktion, weil Israel keine Impfstoffe herstellt.“ Israel habe aber einen großen Vorteil: die Digitalisierung des Gesundheitswesens. „Ich bin generell eine starke Anhängerin der Digitalisierung in den Mitgliedstaaten." Kurz und Frederiksen seien „also dazu eingeladen, ihre Ideen mit den anderen Mitgliedstaaten zu teilen, zum Beispiel beim Europäischen Rat."

An ihrer Impfstrategie lässt von der Leyen jedenfalls keine Kritik zu: „Wir sehen heute, wie wichtig es ist, ein breites Portefeuille an Impfstoffen zu haben. Denn es kann immer Misserfolge bei Impfstoffen geben. Ich möchte gar nicht daran denken, was gewesen wäre, wenn vier oder fünf Mitgliedstaaten Zugang zu Impfstoffen hätten, und die anderen nicht. Das wäre fatal für die europäische Einheit gewesen, und zerstörerisch für den Binnenmarkt."

„Kein Beweis für Produktionskapazität von Sputnik"

Am Donnerstag hatte von der Leyen auch eine Besprechung mit den Ministerpräsidenten der deutschen Länder. Mehrere aus dem Osten forderten den Einsatz des russischen Impfstoffes Sputnik V. Von der Leyen gab sich im Interview zurückhaltend: „Ein guter Impfstoff hat keine Nationalität - aber er muss wirksam und sicher sein. Bisher ist Sputnik in der rollenden Überprüfung seiner Daten - aber es hat keinen Antrag auf Marktzulassung bei der EMA gestellt.“

Außerdem „ist es nun für uns wichtig, vor allem angesichts der Schwierigkeiten mit AstraZeneca, dass das Unternehmen in der Lage ist, zu liefern. Wo sind die Produktionsstätten? Welche Verpflichtungen haben sie? Hier muss ich klar sagen: wir haben keinen Beweis von Produktionskapazitäten von Sputnik gesehen. Jeder Impfstoff, der für den europäischen Markt zugelassen ist, hat auch Produktionsstätten, die von der EMA zugelassen sind."

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