Statistik

Chinas Bevölkerung womöglich erstmals seit Jahrzehnten geschrumpft

HANGZHOU, CHINA - APRIL 04: Tourists visit the West Lake on day two of the Qingming Festival holiday on April 4, 2021 in
HANGZHOU, CHINA - APRIL 04: Tourists visit the West Lake on day two of the Qingming Festival holiday on April 4, 2021 inimago images/VCG
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Bericht der "Financial Times" über das politisch hochsensible und ökonomisch folgenreiche Thema Bevölkerungsentwicklung offiziell noch unbestätigt.

Chinas Bevölkerung ist womöglich erstmals seit einem halben Jahrhundert geschrumpft. Das sollen die Ergebnisse der 2020 durchgeführten Volkszählung zeigen, berichtete die „Financial Times" am Mittwoch unter Berufung auf mit den Daten vertraute Personen. Das Thema sei politisch sehr sensibel. Damit werde amtlicherseits erst in die Öffentlichkeit gegangen, wenn die Regierungsstellen einen Konsens über die Daten und deren mögliche Auswirkungen erreicht hätten, hieß es.

Das Statistikamt, das die Ergebnisse veröffentlichen sollte, reagierte auf Reuters-Nachfrage zunächst nicht auf den Bericht. „Wenn China einen solchen Rückgang bestätigt, wäre das eine große Sache", sagte Zhiwei Zhang, der in Shenzhen ansässige Chefökonom des Finanzhauses Pinpoint Asset Management. „Das wäre viel früher, als der Markt und die politischen Entscheidungsträger erwartet haben."

Bisher werde davon ausgegangen, dass das bevölkerungsreichste Land seinen zahlenmäßigen Höchststand im Jahr 2027 erreichen sollte.

Verfügbare Zahlen ambivalent

Tatsächlich ergeben im Internet frei verfügbare Zahlen indes ein ambivalentes Ergebnis, das wahrscheinlich bei so einer riesigen Bevölkerung und der wenig offenen Datenkultur auch nie annähernd exakt sein dürfte. Die amtliche „nationale Bevölkerungsuhr" Chinas zeigte jedenfalls am 27. April 1.407.692.960 Personen an. Nach Hochrechnungen der UNO - also einer externen Quelle - waren es indes zuletzt (gerundet) etwa 1,444 Milliarden Menschen. Für Ende 2019 wiederum reichen die Angaben von 1,434 Milliarden - also merklich mehr als jetzt - bis hinab zu praktisch exakt 1,4 Milliarden, diesfalls laut nationalem Statistikbüro, also weniger als jetzt.

Damit stellt Festlandchina rund 18 Prozent der Weltbevölkerung, liegt aber nur haarscharf vor Indien, wo für 2020 Zahlen von rund 1,38 bis 1,39 Milliarden genannt wurden.

Ein Rückgang würde den Druck auf Peking erhöhen, Maßnahmen zu ergreifen, um Paare zu ermutigen, wieder mehr Kinder zu bekommen. Erst 2016 hatte China die jahrzehntelange Ein-Kind-Politik abgeschafft, in der Hoffnung, die Zahl der Babys zu erhöhen. Seither wird offiziell eine Zwei-Kind-Politik vertreten. Damals wurde auch das Ziel gesetzt, die Bevölkerung bis 2020 auf etwa 1,42 Milliarden zu erhöhen, nachdem es 2010 noch 1,34 Milliarden waren.

Die Jungen wollen immer seltener Kinder

Allerdings ist die Geburtenrate weiter gesunken. Das liegt zum Teil daran, dass vor allem die nach 1990 geborenen Paare in Großstädten ihre Unabhängigkeit und Karriere höher schätzen als die Gründung einer Familie. Steigende Lebenshaltungskosten in den Großstädten und schlechte Umweltbedingungen schrecken Paare ebenfalls ab. "China müsste wahrscheinlich die Geburtenkontrollpolitik komplett lockern", sagte Zhang.

Sinkende Geburtenraten und eine schnell alternde Gesellschaft erhöhen den Druck auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und könnten die Produktivität beeinträchtigen. „Unsere Projektionen, die auf den Zahlen vor der Volkszählung basieren, deuteten bereits darauf hin, dass die Erwerbsbevölkerung bis 2030 jährlich um 0,5 Prozent schrumpfen würde, mit ähnlichen Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt", schrieben die Analysten von Capital Economics. „Ein langsameres Wachstum würde es schwieriger machen, die Vereinigten Staaten wirtschaftlich einzuholen. Und es könnte auch einen Einfluss auf Chinas globales Ansehen haben."

Während sich das Tempo der Alterung in China beschleunigt, zeigt die US-Bevölkerung hingegen positive Veränderungen, wie aus einem Arbeitspapier der chinesischen Zentralbank hervorgeht. Darin werden Vorhersagen der UNO zitiert, wonach die US-Bevölkerung von 2019 bis 2050 um 15 Prozent wachsen könnte, die chinesische aber um 2,2 Prozent schrumpfen dürfte. „Bildung und technischer Fortschritt können den Rückgang der Bevölkerung nicht kompensieren", warnte die Zentralbank.

(APA/Reuters/wg)

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