In der Causa "Meinl European Land" liegt nun das erste Urteil des Obersten Gerichtshofs vor. Demnach muss die Meinl Bank einem Anleger seinen Schaden ersetzen.
Wien. Seit drei Jahren wird wegen der Kursverluste bei der Immobilienfirma „Meinl European Land“ (MEL, heute Atrium) prozessiert. Nun gibt es die erste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Demnach muss die Meinl Bank einem Anleger den Schaden ersetzen. „Das ist der Durchbruch“, sagt Anwalt Michael Poduschka, der den MEL-Investor vertritt, zur „Presse“.
Gegen die Meinl Bank sind in diesem Zusammenhang tausende Gerichtsverfahren anhängig. Allein der Prozessfinanzierer AdvoFin beziffert den Schaden für seine Klienten mit über 200 Mio. Euro. Das Urteil sei „richtungsweisend für einen großen Teil der Anlegerverfahren“, so Poduschka, der 900 mutmaßliche MEL-Geschädigte vertritt. Die Immobilienfirma gehörte einst zu den Stars an der Wiener Börse. Sie sammelte Milliarden ein, um Immobilien in Osteuropa zu erwerben. Nach schlecht kommunizierten Rückkäufen eigener Aktien war der Börsenkurs massiv eingebrochen.
Im konkreten Fall hat ein Anleger zwischen Jänner und Oktober 2006 über einen Finanzberater in drei Tranchen MEL-Papiere um rund 20.000 Euro erworben. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs (OGH) tat es nichts zur Sache, dass der Investor im Anlegerprofil die Risikobereitschaft mit „hoch“ beziehungsweise „extrem hoch“ eingestuft und ein Formular unterschrieben hat, auf dem auf die Möglichkeit eines Totalverlustes hingewiesen wurde. Für die Höchstrichter ist es in Ordnung, dass sich der Anleger auf eine zwölfseitige MEL-Werbebroschüre verlassen hat. „Eine über diese Broschüre hinausgehende umfassende Vermögens- oder Anlageberatung strebte der Kläger nicht an, sie fand auch nicht statt. Er sah sich die Verkaufsbroschüre genau durch und traf auf dieser Grundlage seine Entscheidung“, steht im Urteil.
Werbebroschüre war ausschlaggebend
In dem Folder, der von einer Vertriebstochter der Meinl Bank herausgegeben wurde, wurde für die MEL-Aktie mit folgenden Worten geworben: „Sicherheit: Sichere, breitgestreute Immobilienveranlagung in Zeiten stark schwankender Aktienmärkte, hoher Steuern und niedriger Zinsen.“ Bei MEL würden Mietrenditen zwischen neun und zehn Prozent pro Jahr winken. In der Broschüre hieß es, dass bei Immobilienaktien mit keinen besonderen Schwankungen des Kurses zur rechnen sei. Untermauert wurde dies durch eine Grafik mit dem bisherigen Kursverlauf.
Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs handelte es sich bei der für die Kaufentscheidung des Klägers maßgebliche Broschüre „nicht um offensichtlich verkürzte, bloß die Aufmerksamkeit erweckende blickfangartige und möglicherweise von vornherein als marktschreierisch anzusehende Werbeaussagen wie etwa Inseratenüberschriften, Kurswerbespots oder Ähnliches, sondern um die für den durchschnittlichen Privatanleger wie den Kläger verständliche und (scheinbar) auch vollständige Information, die den Zweck verfolgt, dem Privatanleger eine vernünftige Anlageentscheidung zu ermöglichen“. Dem gegenüber „treten allgemein gehaltene Risikohinweise völlig in den Hintergrund und veranlassten den Kläger daher, der plausibel aufbereiteten Werbebotschaft zu vertrauen, wonach die hier beworbene Anlage grundlegend sicherer wäre als eine Veranlagung in sonstigen Einzelaktien“. Ein mögliches Mitverschulden des Anlegers nach dem Motto, er hätte besser aufpassen müssen, wurde vom Gericht als irrelevant abgetan.
Die Höchstrichter schlossen sich der Argumentation von Andreas Vonkilch an. Dieser ist Zivilrechtsprofessor an der Universität Wien und hat sich mit der Irrtumsanfechtung von Wertpapierkäufen beschäftigt.
Für die Meinl Bank ist das Urteil aber kein Orientierungspunkt für künftige Gerichtsentscheidungen. „Der Irrtum muss in jedem konkreten Einzelfall geprüft werden“, fordert Meinl-Bank-Vorstand Peter Weinzierl. Anlegeranwalt Poduschka vermutet, dass die Bank künftig nur dann eine Chance hat, wenn sie beweisen kann, dass der Berater ausführlich auf sämtliche Risken hingewiesen hat: „Doch viele Fälle zeigen, dass sich auch die Berater auf die offiziellen Werbeprospekte verlassen haben.“
Meinl gegen Aktienkauf auf Probe
Meinl-Bank-Vorstand Weinzierl ist über das Urteil entsetzt. „Im Prinzip bedeutet das, dass Unterschriften von mündigen Personen auf Dokumenten offenbar nicht gelten.“ Denn schließlich habe der Anleger im Risikoprofil den Hinweis auf die Möglichkeit eines Totalverlustes unterfertigt. Bedauerlicherweise sei dies eine Entscheidung, die das Prinzip „Aktienkauf auf Probe“, also Gewinnmitnahmen bei steigenden, und Klagen bei fallenden Kursen fördere.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2010)