Kanada

Kanadas dunkles Kapitel: Überreste von Ureinwohner-Kindern entdeckt

News Bilder des Tages (210530) -- VANCOUVER, May 30, 2021 -- Children s shoes are placed on the staircase outside Vancou
News Bilder des Tages (210530) -- VANCOUVER, May 30, 2021 -- Children s shoes are placed on the staircase outside Vancouimago images/Xinhua
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In einem ehemaligen Internat wurden Überreste von 215 Kindern entdeckt. Noch ist unklar, was genau mit ihnen geschah.

Ein Fund, der die Nation schockiert: Auf dem Grundstück eines ehemaligen Internats im Westen Kanadas haben Spezialisten mit Radargeräten Überreste von 215 Kindern entdeckt. Es sei eine sehr schmerzhafte Nachricht, die alte Wunden offenlege, schrieb Perry Bellegarde, der oberste Vertreter der indigenen Völker des Landes, am Wochenende auf Twitter.

Das Internat war zwischen 1890 und 1978 in Betrieb und diente als sogenannte Residential School – als eine Art Umerziehungscamp für die Söhne und Töchter kanadischer Ureinwohner. Die Kinder galten offiziell als vermisst, doch die Menschen, die in der Gegend nahe der Stadt Kamloops in der Provinz British Columbia leben, hatten seit Jahren das Schlimmste befürchtet.

Memorial in front of the administration building at the former Kamloops Indian Residential School
Memorial in front of the administration building at the former Kamloops Indian Residential School(c) REUTERS (DENNIS OWEN)

"Niemand sprach darüber, aber wir alle ahnten, was geschehen war", sagte Rosanne Casimir, die Leiterin der in Kamloops beheimateten indigenen Gruppe, am Wochenende in einer Pressekonferenz. "Diese Ahnung hat sich nun bestätigt." Der Tod der Buben und Mädchen sei ein "unvorstellbarer Verlust". Einige von ihnen wurden laut Casimir nur drei Jahre alt. Woran und wann sie starben, sei noch unklar.

150.000 Kinder verschleppt

Es handelt sich um eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte Kanadas: Über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren entriss die Regierung fast 150.000 Kinder ihren Familien und steckte sie in Internate. Dort sollten sie ihre Kultur vergessen – ihre Feste, Lieder, Sprache, Religion – und die Traditionen der europäischen Einwanderer erlernen. Gewalt, Zwangsarbeit und sexueller Missbrauch waren dabei an der Tagesordnung.

Die Residential School bei Kamloops war nach Angaben von Casimir die größte in Kanada. Sie wurde zunächst von der katholischen Kirche betrieben, später von der Regierung. Bis zu 500 Buben und Mädchen hätten dort gelebt – unter schlimmen Bedingungen. Viele von ihnen litten unter Hunger, weil die Regierung nicht ausreichend Geld für die Verpflegung zur Verfügung stellte, wie Casimir sagte. Den Tod der Kinder, deren Überreste nun gefunden wurden, habe die Schulleitung nie dokumentiert.

Kanada trauert

Der Fund löste in der kanadischen Politik eine Welle von Beileidsbekundungen aus. "Die Nachricht bricht mein Herz", schrieb Premierminister Justin Trudeau auf Twitter. Carolyn Bennett, Ministerin für die Beziehungen zu den Ureinwohnern, sprach in einer Mitteilung von einem "tragischen und beschämenden Teil" der Geschichte ihres Landes. "Tausende Kinder wurden in diese Schulen geschickt und kehrten nie zu ihren Familien zurück."

Trudeau hatte sich im Jahr 2017 unter Tränen bei den indigenen Völkern entschuldigt. Dem Verband IRSSS, der Überlebende der Residential Schools vertritt, genügt das nicht. Co-Chef Rick Alec wandte sich am Wochenende an die katholische Kirche, die viele der berüchtigten Internate betrieb. Der Papst müsse die Frage beantworten, warum man den kanadischen Ureinwohnern so etwas angetan habe, sagte Alec dem TV-Sender CBC.

Im Jahr 2015 veröffentlichte eine kanadische Regierungskommission einen Bericht, der das Leid in den Internaten detailliert beschrieb. Darin finden sich auch Erfahrungsberichte aus Kamloops. "Jeder Schüler roch nach Hunger", wird ein Überlebender zitiert. Zudem wird die Einrichtung als extrem unhygienisch beschrieben. Viele Kinder, heißt es, seien an Masern, Tuberkulose oder Grippe gestorben. Insgesamt verloren in den Residential Schools dem Report zufolge mehr als 6.000 Buben und Mädchen ihr Leben.

(APA/dpa)

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