Wo Mauern vor Roma „schützen“ sollen

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Mauern Roma bdquoschuetzenldquo sollen(c) EPA (ATTILA BALAZS)
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Im Osten der Slowakei werden Absperrungen zwischen Mehrheit und Minderheit gebaut. Doch auch manche Roma grenzen sich von "Problemfamilien" ab. Sie stört es, dass alle Roma "in einen Topf" geworfen werden.

Prešov. Auf den ersten Blick wirkt sie fast unauffällig, die kleine Mauer in der Maurergasse von Prešov. Zwei Meter hoch, acht Meter lang, schließt sie eine Sackgasse in der drittgrößten Stadt der Slowakei ab. So unscheinbar die Mauer ist, so sehr erhitzt sie die Gemüter: Denn sie trennt Roma und Nicht-Roma. In immer mehr Gemeinden der Ostslowakei gibt es solche Absperrungen.

„Die Mauer hat man uns schon vor fünf Jahren versprochen!“, sagt der 76-jährige Pensionist František Kubica aus Prešov. Mit Wehmut erinnert sich der ehemalige Maschinenschlosser an seine Arbeitsjahre im alten Ziegelwerk in der Nähe seines Hauses, das noch vor 20 Jahren in Betrieb war. Nach der Wende wurde es geschleift, an seiner Stelle errichtete die Stadtverwaltung eine Wohnanlage für sogenannte „Neplatici“ (Nichtzahler), also Menschen, die aus ihren Wohnungen ausquartiert wurden, weil sie uneinbringlich hohe Mietschulden angehäuft hatten.

Inzwischen ist aus dem 2001 fertiggestellten Komplex mit Namen „Alte Ziegelei“ ein Roma-Ghetto geworden, in dem Armut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit, aber auch Alkohol und Kleinkriminalität regieren. Auf bis zu 2300 schätzt die Stadtverwaltung die Zahl der teilweise illegal zugezogenen Bewohner. Zwar gibt es eine Asphaltstraße, die aus der Roma-Siedlung in weitem Bogen ins Stadtzentrum führt, aber der von den Roma selbst über Jahre ausgetretene „illegale“ Trampelpfad über den unkrautüberwucherten Steilhang und weiter durch die Maurergasse mit ihren gepflegten Einfamilienhäusern ist viel kürzer.

Die Einwohner der Gasse hatten schon vor Jahren eine Mauer gefordert, die wesentlich größer sein sollte als die jetzige. Wegen der Roma: „Alles machen sie kaputt. Sie stehlen nicht nur die Früchte, sondern reißen ganze Äste von den Obstbäumen ab“, klagt Margita Kubicova. „Alles, was aus Metall ist, verschwindet sowieso: Gefäße, die wir zum Marmeladeeinkochen hatten, genauso wie alles Werkzeug, auch solches, das ich noch von meinem Großvater hatte. Nicht einmal in den Wohnräumen ist man sicher, dass einem nicht plötzlich ein paar Halbwüchsige gegenüberstehen.“ Wie sollten sich alte Leute da wehren, ergänzt ihr Mann. Das Problem ist, dass nach slowakischem Recht die Eltern nicht für Gesetzesbrüche Unmündiger haften.

„Ihr werft uns alle in einen Topf“

In der „Alten Ziegelei“ spielen Kinder, die jetzt am Vormittag eigentlich in der Schule sein sollten, zwischen verstreuten Abfällen im Innenhof. Viele schieben kleinere Geschwister in Kinderwagen umher oder zerren sie an der Hand mit sich. Keine Spur von den Kultur- und Sozialeinrichtungen, zusätzlichen Spielplätzen, Geschäften oder der Polizeistation, die die mittlerweile abgewählte Stadtregierung bei einem Besuch vor fünf Jahren versprochen hatte.

Das einzig Neue sind Gitterwände zwischen einzelnen Pawlatschenwohnungen, mit denen sich immer mehr „angepasstere“ Roma von den „problematischeren“ abgrenzen wollen: So wie oben am Hügel eine Mauer alle Roma aus dem Häuserviertel der „Weißen“ aussperrt, grenzen sich hier Roma von Roma ab. Das macht verständlich, was oben in der Maurergasse ein vorbeigehender Rom den Kubicas zurief: „Mich stört die Mauer nicht, wenn ihr sie haben wollt. Aber was mich stört, ist, dass ihr uns alle in einen Topf werft, obwohl nicht alle hier für jeden Unfug verantwortlich sind!“

Dezider Ferko, der in seine kitschüberladene, aber penibel saubere Kleinwohnung mit riesigem LCD-Schirm neben Muttergottes und Plastikrosen bittet, die er mit seiner achtköpfigen Familie bewohnt, ist Oberhaupt einer der Vorzeige-Roma-Familien. Ein Gitter zu den Nachbarn ist ihm nicht bewilligt worden – aus feuerpolizeilichen Gründen. „So ist das doch nicht auszuhalten“, beklagt sich Ferko: „Ich halte hier alles sauber, und dann laufen mir die Nachbarskinder durch den Gang und schmeißen mir ihren Dreck vor die Wohnungstür. Um wegzuziehen reicht seine kärgliche Pension nicht.

Keine Qualifikation, keine Arbeit

Immerhin wurde sein Sohn ausgewählt, mit seiner Jungfamilie eine der desolatesten Wohnungen mit städtischer Unterstützung in ein neues, besseres Zuhause umzubauen. So soll nach Plan der Stadtverwaltung ein schönerer Teil für hoffnungsvollere Familien inmitten des verfallenden Scherbenviertels als Vorbild für „die anderen“ entstehen. Doch dafür, dass es für alle Roma Hoffnung gibt, fehlen die Grundvoraussetzungen: „Sie sind so unqualifiziert, dass sie auch dann keine Arbeit kriegen, wenn sie arbeiten möchten“, sagt Sozialarbeiter Michal Petrov. Da helfen weder die vereinfachenden Ferndiagnosen in- und ausländischer Medien, die die Pensionisten der Maurergasse als „Rassisten“ an den Pranger stellen. Und noch weniger die Beiträge in Internetforen, in denen alle Roma als kriminelles Pack beschimpft werden, das es loszuwerden gelte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2010)

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