Kanada

Trudeau erschüttert über Fund sterblicher Überreste von 215 Kindern

215 Paar Schuhe erinnern auch im Kahnawake Mohawk Territory in Quebec an das Schicksal der Kinder im katholischen Internat Kamloops im Bundesstaat British Columbia.
215 Paar Schuhe erinnern auch im Kahnawake Mohawk Territory in Quebec an das Schicksal der Kinder im katholischen Internat Kamloops im Bundesstaat British Columbia.APA/AFP/PETER MCCABE
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Das tragische Ende der Internate sei „noch heute präsent“, sagt der kanadische Premier und versprach "konkrete Maßnahmen". In Kanada waren ab 1874 rund 150.000 Kinder von indigenen Gruppen unter Zwang in kirchliche Heime gesteckt worden.

Nach dem Fund sterblicher Überreste von 215 Ureinwohner-Kindern auf einem ehemaligen Internatsgelände hat sich Kanadas Premierminister Justin Trudeau erschüttert gezeigt. Als Vater könne er sich nicht vorstellen, "wie es sich anfühlt, wenn mir die Kinder weggenommen werden", sagte der Regierungschef am Montag (Ortszeit). Ohne Einzelheiten zu nennen, versprach er "konkrete" Maßnahmen, "um Überlebende, Familien und indigene Völker zu unterstützen".

"Traurigerweise ist dies keine Ausnahme oder ein einzelner Vorfall. Wir werden uns nicht davor verstecken. Wir müssen die Wahrheit anerkennen", sagte Trudeau. Diese Schulen seien eine Realität gewesen. "Eine Tragödie, die hier in unserem Land existierte, und wir müssen uns dazu bekennen." Als Premierminister sei er erschüttert von der beschämenden Politik, "die den indigenen Gemeinschaften ihre Kinder gestohlen hat".

Das Abtragen von weiteren Schulfriedhöfen in Kanada, wie es von vielen gefordert wurde, sei "ein wichtiger Schritt, um die Wahrheit zu erkunden", sagte Trudeau. Er sicherte den indigenen Gemeinschaften Unterstützung zu, "während wir das Ausmaß dieses Traumas aufdecken".

"Das tragische Erbe der Internate ist noch heute präsent", betonte Trudeau, der die Versöhnung mit den kanadischen Ureinwohnern bei seinem Amtsantritt 2015 zu einem Schwerpunkt seiner Politik erklärt hatte. "Es bleibt noch viel zu tun".

Familien „verdienen die Wahrheit"

Die Ureinwohner-Organisation Assembly of First Nations (AFN) forderte Aufklärung. Die Familien und ehemaligen Schüler "verdienen die Wahrheit", sagte AFN-Chef Perry Bellegarde. "Eine gründliche Untersuchung aller früherer Internatsgelände könnte mehr Wahrheit zum Genozid an unseren Menschen ans Licht bringen."

Auf dem Gelände eines ehemaligen Internats für Kinder von Ureinwohnern waren die sterblichen Überreste von 215 Kindern gefunden worden. Die Überreste seien mit einem speziellem Sonargerät entdeckt worden, hatte die indigene Gemeinschaft Tk'emlups te Secwepemc am Donnerstag erklärt. Das katholische Heim nahe der Kleinstadt Kamloops im westkanadischen British Columbia war vor über 100 Jahren eröffnet worden, um Kinder von Ureinwohnern zwangsweise in die Gesellschaft der europäischen Einwanderer zu integrieren.

Der Fund hatte landesweit Trauer ausgelöst, am Wochenende wurden die Flaggen auf Regierungsgebäuden auf halbmast gesetzt. Vor dem Parlament in Ottawa und vor Kirchen und offiziellen Gebäuden in mehreren Städten wurden Kinderschuhe aufgereiht.

Todesursache noch Gegenstand von Untersuchungen

Einige der toten Kinder seien erst drei Jahre alt gewesen, sagte die Leiterin der Gemeinschaft Tk'emlups te Secwepemc, Rosanne Casimir, vergangene Woche. Der Tod der Kinder sei von der damaligen Schulleitung nie dokumentiert worden, obwohl ihr Verschwinden von Mitgliedern der Gemeinde gemeldet worden sei.

Wie die Kinder ums Leben kamen, ist noch unklar. Die Gemeinde will mit Gerichtsmedizinern und Museen in der Gegend zusammenarbeiten, um die Umstände aufzuklären. Die vorläufigen Ergebnisse sollen im Juni in einem Untersuchungsbericht veröffentlicht werden.

Das ehemalige Internat, das von der katholischen Kirche im Auftrag der kanadischen Regierung betrieben wurde, war eines von 139 solcher Einrichtungen, die gegen Ende des 19. Jahrhundert in Kanada errichtet wurden. Es wurde 1890 eröffnet und hatte in den 1950er Jahren bis zu 500 Schüler. Erst 1969 wurde das Internat geschlossen.

Opfer eines „kulturellen Genozids"

In Kanada waren ab 1874 rund 150.000 Kinder von indigenen Gruppen, Mestizen und Inuit von ihren Familien und ihrer Kultur getrennt und unter Zwang in kirchliche Heime gesteckt worden, um sie so zur Anpassung an die weiße Mehrheitsgesellschaft zu zwingen. Viele von ihnen wurden in den Heimen misshandelt oder sexuell missbraucht. Mindestens 3200 starben, die meisten an Tuberkulose.

Viele indigene Gemeinschaften machen die Heime, die ganze Generationen geprägt haben, heute für soziale Probleme wie Alkoholismus, häusliche Gewalt und erhöhte Selbstmordraten verantwortlich. Ottawa entschuldigte sich im Jahr 2008 offiziell bei den Überlebenden der Internate. Sie seien Opfer eines "kulturellen Genozids", stellte eine Untersuchungskommission im Jahr 2015 fest.

(APA/AFP/dpa)

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