Zweifelnd zärtlich. Hofmannsthal gräbt in seinem „Bergwerk“ in den vielen Schichten menschlichen Sehnens und Suchens.
Salzburger Festspiele

Grabungsarbeiten im Seelenbergwerk

Hugo von Hofmannsthal gilt als einer der Identitätsstifter der Salzburger Festspiele. Sein Drama „Das Bergwerk zu Falun“ spürt der nietzscheanischen „transzendentalen Obdachlosigkeit“ des modernen Menschen nach.

Hugo von Hofmannsthal war gemeinsam mit Max Reinhardt und Richard Strauss einer der Gründungsväter der Salzburger Festspiele. Sein „Jedermann“ am Domplatz gab nicht nur den Auftakt im Jahr 1920, sondern wurde zum identitätsstiftenden Fixpunkt der Salzburger Sommer. Mit zahlreichen theoretischen Schriften profilierte sich Hofmannsthal aber auch als einer der Vordenker der Festspiele. Seine Formulierungen konnten sehr elastisch sein, er sprach die Intellektuellen genauso an wie diejenigen, die sich nach den Elendsjahren des Krieges nach einem Ruhepol in Gestalt von Spiel und Kunst sehnten – einer Insel, auf der Hunger, Kälte und Armut als Folgen des Ersten Weltkrieges nicht Fuß fassen konnten. Festspiele anno 1920 waren ein Wagnis, und Hofmannsthal formulierte: „Was gibt den Salzburgern und Österreichern den Mut dazu, im jetzigen Augenblick? Die Tatsache, daß alle Menschen jetzt nach geistigen Freuden verlangen.“

1919 waren Hofmannsthal und der Bühnenbildner Alfred Roller bereits aufgenommen in den Kunstrat, der die ersten Festspiele vorbereitete. 1920 gab es ausschließlich Vorstellungen des „Jedermann“, 1925 folgte die Uraufführung des „Salzburger Großen Welttheaters“ in der Kollegienkirche. Im Jahr darauf wurde mit demselben Werk das Festspielhaus eröffnet. Als echte Festspielaufgabe hat man sich in Salzburg heuer, im      – pandemiebedingt – zweiten Festspielsommer, der dem 100-Jahr-Jubiläum gewidmet ist, dazu entschlossen, ein kaum bekanntes, aber in seiner Aussage doch erstaunlich aktuelles Drama des Dichters zur Aufführung zu bringen: „Das Bergwerk zu Falun“.

Märchenhaftes Patchworkdrama

Regisseur Jossi Wieler bezeichnet das Stück als „Rarität“. Der Inhalt gemahne an ein Märchen. Am ehesten ist es der „Frau ohne Schatten“ verwandet, einem der fünf Opernlibretti, die Hofmannsthal für Richard Strauss gedichtet hat. Aber sogar das „Bergwerk zu Falun“ kam zu Opernehren: Rudolf Wagner-Régeny vertonte den Text als Auftragswerk der Salzburger Festspiele 1961.Hofmannsthal, seiner persönlichen Scheuheit, seinen Selbstzweifeln zum Trotz, hat sehr wohl gewusst, wie man Bestseller schreibt. Schon sein Jugendwerk, „Der Thor und Tod“, brachte es auf 275.000 verkaufte Exemplare in 26  Auflagen. Der „Jedermann“, das Drama über das verfehlte, verkümmerte Menschsein mit falschen Prioritäten, wurde zum Dauerbrenner auf dem Domplatz.

Selten gespielt. Regisseur Jossi Wieler inszeniert die Spielplanrarität „Das Bergwerk zu Falun“ mit Marcel Kohler als Elis.
Selten gespielt. Regisseur Jossi Wieler inszeniert die Spielplanrarität „Das Bergwerk zu Falun“ mit Marcel Kohler als Elis.(c) Bernd Uhlig

Doch „Das Bergwerk zu Falun“ blieb innerhalb von Hofmannsthals Œu­v­re eher ein Sorgenkind. 1899 begann der Dichter zu schreiben, als Ganzes wurde das Drama erst posthum, 1932, herausgegeben. Der ausführliche erste Akt wurde 1900 in der „Insel“ publiziert und später als „Ein Vorspiel“ in die „Kleinen Dramen“ aufgenommen. Der zweite, vierte und fünfte Akt erblickten zwischen 1902 und 1911 das Licht der literarischen Welt. Von der Existenz des dritten Aktes wusste man gar erst seit der Sichtung von Hofmannsthals Nachlass. Der Inhalt dieses Patchworkdramas mutet dunkel und tief romantisch an. Regisseur Wieler spricht von „Dekadenz“. Sie tritt durchaus nicht eindimensional zutage. Nicht eine, sondern viele Antworten stünden den Sinnsuchenden zur Auswahl.

Reif für die Sehnsuchtslosigkeit

Elis Fröbom, ein schwermütiger junger Seemann, kehrt nach Hause zurück. Er trifft auf einen Boten der Bergkönigin, den alten Tobern, der wie der „Fliegende Holländer“ als eine Art Untoter durch die Jahrhunderte zieht und Elis ins Reich der überwältigend schönen Bergkönigin führt. Doch für Elis ist die Zeit noch nicht reif, für immer dort zu bleiben. Wieder auf der Erde, geht er nach Falun, die schwedische Stadt auf der Höhe von Helsinki und St.  Petersburg, aus der einst zwei Drittel der weltweiten Kupferproduktion stammen. Elis wird ein tüchtiger Bergmann und verliebt sich in Anna, die Tochter des Bergwerkbesitzers. Realität und Traumwelt verschwimmen. Nur so viel sei verraten: Es gibt kein Happy End für die beiden.

So märchenhaft sich der Stoff liest („Deine Sinne sind mit Sehnsucht vollgesogen noch nach denen da droben“), es gibt doch Bezüge auch zu unserem Leben – wenn etwa Anna sagt: „. . . Wär ich ein Bub, wie gern ging ich mit dir, schlief jede Nacht in einem anderen Bett, säh jeden Tag was Fremdes . . .“ Just die blinde Großmutter plädiert dafür, junge Menschen ziehen zu lassen: „Lasst ihn gehn, ausschütten all sein Finstres in die Welt! Kehrt er zurück, wie hell ist ihm das Tal.“ Die Faszination des Reisens! Und weiter heißt es im Stück: „. . . häng dein Herz nicht an dein Haus, hängs nicht an dein Gewerb: Du kannst das Glück nicht in verschlossenen Höhlen dir halten, denn es atmet nur im Flug!“

Gerade während der Pandemie haben wir eine nicht gekannte Enge erlebt, die Sehnsucht nach dem Neuen und nach der Ferne ist groß geworden, aber auch die Frage nach dem „Wie viel“ hat manche beschäftigt. Wenn Elis im Stück zu Anna sagt, bliebe er immer bei ihr, zwänge sie etwas, ihn mit einem andren Blick anzusehn, so erinnert das an moderne Paartherapie: Ehe auf Dauer? Auf Zeit? Wie lang hält die Faszination der Liebe an? Doch Elis gesteht Anna auch seine homoerotische Begegnung mit einem jungen Burschen am Schiff, als „Brautleut“ hat man die beiden gar verspottet.

Reale Vorlage

Es gibt im Stück auch Beziehungen zur realen Vergangenheit, zu einem Vorfall, der 1719 in Falun tatsächlich passiert sein soll. Der Leichnam eines im Bergwerk Verschütteten kam nach 50 Jahren unversehrt zum Vorschein und wurde von seiner einstigen Braut identifiziert!

Das inspirierte schon E. T. A. Hoffmann 1818 zu seiner Erzählung „Die Bergwerke zu Falun“ (erschienen 1819 in der Sammlung „Die Serapionsbrüder“). Hofmannsthal setzte den Titel in die Einzahl: Das Bergwerk. Doch die tiefenpsychologischen Verdrängungsschichten und -mechanismen seines dramatischen Seelenbergwerks sind noch heute in viele Richtungen hin deutbar: Wahre Bergwerke von Unfähigkeit zu menschlicher Bindung und Liebe, von dämonisch-irrealem Fluchtpotenzial treiben die Protagonisten. 

Buchtipp

„Die Festspielmacher. Querdenker, Vordenker, Nachdenker.“ Die Biografie der Salzburger Festspiele aus der Perspektive der Festspielmacher. Von Michaela Schlögl, Echomedia Verlag, 317 Seiten, 29,90 Euro.

Mehr Informationen unter: www.salzburgerfestspiele.at

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