Rückführungen

Afghanistan fordert Abschiebestopp aus EU

Die Taliban erobern nach dem Abzug internationaler Truppen immer mehr Bezirke.
Die Taliban erobern nach dem Abzug internationaler Truppen immer mehr Bezirke. via REUTERS
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Die Regierung führt Vormarsch der Taliban und steigende Coronazahlen als Gründe an.

Die Forderung aus Kabul dürfte in Europa kaum auf fruchtbaren Boden fallen. Afghanistans Regierung will, dass europäische Staaten Abschiebungen in das Krisenland für drei Monate aussetzen. Wegen der zunehmenden Gewalt der militant-islamistischen Taliban und steigender Corona-Infektionen sei die Rückführung abgelehnter Asylbewerber derzeit ein Grund zur Sorge, hieß es am vergangenen Wochenende in einer Erklärung des für Flüchtlinge zuständigen Ministeriums. Außerdem sei man beunruhigt angesichts einer wachsenden Zahl von Menschen, die im Ausland Asyl suchten sowie im Land selbst auf der Flucht seien.

Viele europäische Länder schieben abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan ab, auch Österreich. Doch die Rückführungen in das Krisenland sind umstritten: Trotz der Aufnahme von Friedensgesprächen im September geht der Konflikt mit den Taliban weiter – und seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan Anfang Mai hat sich die Sicherheitslage zugespitzt. Die Islamisten haben seither ein Viertel der Bezirke im Land neu erobert. Dabei haben sie Hunderte Regierungskräfte getötet, verwundet, gefangen genommen oder zur Aufgabe überredet.

Nach Daten der Vereinten Nationen mussten zwischen Anfang Mai und Ende Juni fast 84.000 Menschen innerhalb Afghanistans vor den Kämpfen aus ihren Dörfern und Städten fliehen. Täglich kommen Zivilisten in dem Konflikt im Kreuzfeuer bei Gefechten, durch Bomben am Straßenrand oder auch durch gezielte Tötungen ums Leben.

Österreichische NGOs wie die Asylkoordination, der Verein Autonome Frauenhäuser und ZARA fordern einen Abschiebestopp nach Afghanistan. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erteilte dieser Forderung unlängst eine Absage. „Es muss mehr und nicht weniger abgeschoben werden, besonders dann, wenn es sich um straffällig gewordene Asylwerber handelt“, sagte Kurz, der darauf verweist, dass afghanische Staatsbürger in Österreich laut Sicherheitsbericht (2019) die größte ausländische Tätergruppe bei Sexualstraftaten darstellen.

„Menschen egal wohin abschieben“

Ganz ähnlich sieht das die SPÖ. „Wenn sie zu uns kommen, Asyl suchen und strafbar werden, dann ist jeder Einzelfall zu prüfen. Aber wenn es eindeutig ist, dann sind diese Menschen egal wohin abzuschieben. Das muss ein klares Prinzip unserer Demokratie sein“, so der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser zum Fall der vor zwei Wochen in Wien getöteten 13-jährigen Leonie. Drei afghanische Staatsangehörige wurden als Tatverdächtige festgenommen. Ein vierter mutmaßlicher Täter ist auf der Flucht.

Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas hatte am Montag gesagt, er halte die bisherige Abschiebepraxis trotz der Zunahme der Gewalt noch für vertretbar. Die deutsche Bundeswehr hat Afghanistan Ende Juni verlassen. Der letzte Bundesheersoldat im Afghanistan-Einsatz kam am 18. Juni nach Österreich zurück. Der Abzug der US-Truppen sei zu mehr als 90 Prozent abgeschlossen, teilte das Pentagon am vergangenen Dienstag mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2021)

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