Filmfestival

Genre-Wunderwerk siegt in Cannes: Goldene Palme für junge Französin

Für ihren Film „Titane“ gewann Julia Ducournau bei den Filmfestspielen von Cannes die „Goldene Palme“: als erst zweite Frau in der Festivalgeschichte.
Für ihren Film „Titane“ gewann Julia Ducournau bei den Filmfestspielen von Cannes die „Goldene Palme“: als erst zweite Frau in der Festivalgeschichte. (c) REUTERS (JOHANNA GERON)
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Die Festspiele von Cannes endeten mit einem Durcheinander bei der Preisverleihung: Jurypräsident Spike Lee plauderte den Siegerfilm vorzeitig aus. Der Hauptpreis ging an die Französin Julia Ducournau für ihr unklassifizierbares Düsterdrama „Titane“. Sie ist erst die zweite Goldpalmensiegerin in der Festivalgeschichte.

Für eine Weile hatte man in Cannes am Samstagabend das Gefühl, einem Zusammenbruch unser verknöcherten Medienwirklichkeit beizuwohnen: Gleich zu Beginn des Wettbewerbs-Verleihungsreigens, der sich traditionell die Preisleiter bis zur Haupttrophäe hocharbeitet, verplapperte sich Jurypräsident Spike Lee (der sichtlich Schwierigkeiten hatte, die Siegertitel auf den Kärtchen zu entziffern) – und verkündete den Gewinner in etwa eine halbe Stunde zu früh. Was den Fauxpas selbst im Vergleich zu berühmten Verkündungsfehlern (wie der temporären Siegerverwechslung am Ende der Oscars 2017) faszinierend machte, war, dass er den Rest der Gala in eine Wackelpartie verwandelte: Obwohl Moderation, Jury und Publikum sich redlich bemühten, die Ordnung zu wahren und gute Miene zur Spannungsimplosion zu machen, dauerte es bis zum Schluss, bis das ungewohnt lebhafte Durcheinander halbwegs abflaute. Im direkten Anschluss verglich sich Lee selbstironisch mit „dem Typen, der am Ende des Spiels den Freiwurf versemmelt.“

Doch dass die Zeremonie im Chaos versank, änderte zum Glück nichts an den klugen Entscheidungen der Jury (zu der heuer auch die Österreicherin Jessica Hausner gehörte), die gleich mehrfach Zeichen setzte. Zuvorderst mit dem Hauptpreis: Die Goldene Palme ging heuer an die 37-jährige französische Filmemacherin Julia Ducournau für ihren schwer klassifizierbaren Körperkino-Wuchtbrocken „Titane“, ein düster schimmerndes Wunderwerk mit Näheverhältnis zum Genrekino: Eine junge Frau (Agathe Rousselle), die nach einem Autounfall als Kind ein Metallimplantat im Kopf trägt und bei ihrer Suche nach (sexueller) Identität auch vor Mord nicht zurückscheut, gibt sich auf der Flucht als verschollener Sohn eines hypermaskulinen Feuerwehrmanns (Vincent Lindon) aus. Im hochästhetischen Rausch aus Feuer und Stahl geraten die zwei aneinander – bis alle Rollenbilder aus den Angeln fliegen. Ducournau ist nach Jane Campion erst die zweite Frau, die eine Goldene Palme bekommt (wobei Campion ihren Preis für „Das Piano“ 1993 mit dem chinesischen Filmemacher Chen Kaige teilen musste). Sichtlich bewegt nahm sie den Preis entgegen, bedankte sich bei der Jury dafür, dass ihre Mitglieder die „Monster hereinlassen“, Diversität und das Fließende fördern - und meinte, dass „Perfektion nicht nur eine Chimäre ist, sondern auch eine Sackgasse.“

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