Morgenglosse

Quarantäne? Boris Johnson ist eben "gleicher"

Alles nur ein "Feldversuch". Boris Johnson (links) sorgte mit der Ankündigung, trotz Kontakt zu Schatzkanzler Rishi Sunak nicht in Quarantäne gehen zu wollen, für Ärger bei den Briten.
Alles nur ein "Feldversuch". Boris Johnson (links) sorgte mit der Ankündigung, trotz Kontakt zu Schatzkanzler Rishi Sunak nicht in Quarantäne gehen zu wollen, für Ärger bei den Briten.REUTERS
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An die Gleichheit vor dem Gesetz musste der britische Premierminister Johnson erst erinnert werden, als er wegen Kontakts zu einem mit Covid infizierten Minister erst gar nicht in Selbstisolation gehen wollte.

Der britische Premierminister Boris Johnson brüstet sich zwar bei jeder Gelegenheit mit seiner exquisiten Bildung als Absolvent der Eliteeinrichtungen Eton und Oxford, aber als man im Unterricht George Orwell durchnahm, muss er gefehlt haben. Der schuf mit „Animal Farm“ eine Parabel darauf, wie politische Macht korrumpiert, die in dem zum Klassiker gewordenen Satz mündet: „Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher.“ Das nimmt offenbar auch Johnson für sich in Anspruch. 

Als am Samstag sein Gesundheitsminister Savid Javid die Öffentlichkeit informierte, dass er sich wegen Infektion mit dem Coronavirus (ungeachtet beider Impfdosen) in Selbstisolation begeben müsse, wurde umgehend spekuliert, was dies für die Regierung bedeute: Javid hatte in der Woche zweimal im Parlament gesprochen und erst am Freitag mit Johnson und Schatzkanzler Rishi Sunak letzte Beratungen über den für heute versprochenen „Freedom Day“ – der Tag, an dem die letzten Covid-Einschränkungen in England fallen – geführt. Aus den Reihen der Tories hieß es: „Da kann gleich das halbe Kabinett in Quarantäne gehen“.

Prompt traf es auch Johnson und Sunak, die Sonntag in der Früh mitteilten, dass sie „über einen Kontakt mit einer infizierten Person“ informiert worden seien. Dieses gefürchtete „Ping“ hörten allein in der Vorwoche mehr als 500.000 Briten auf ihrem Handy. Während sie sich aber brav zuhause einschließen müssen (und Firmen deshalb Produktionsausfälle erleiden, Supermärkte keine Lebensmittellieferung bekommen und in London U-Bahnlinien stillstehen), ersann man in der Downing Street flugs einen Ausweg: Die Regierungszentrale sei „Teilnehmer an einem Feldversuch“, bei dem die Pflicht zur Selbstisolation durch tägliches Testen ersetzt werde. Johnson werde daher nicht in Quarantäne gehen.

„Das ist Verarschung"

Selbst der zur Verteidigung ausgeschickte und üblicherweise ziemlich schmerzbefreite Wohnbauminister Robert Jenrick schaute einigermaßen unglücklich, als er alsbald im Frühstücksfernsehen einräumte, er verstehe natürlich „die Frustration all jener, denen so ein Versuch nicht zur Verfügung steht“. Das sind die Momente, in denen politische Karrieren beginnen – oder enden. Die aus Manchester stammenden Labour-Vizechefin Angela Rayner warnte in der für Nordengland so typischen erfrischenden Geradlinigkeit: „Entschuldigen Sie meine unparlamentarische Sprache: Aber das ist eine Verarschung.“

Genau zwei Stunden und 43 Minuten später war die Botschaft angekommen und mit einer neuerlichen E-Mail informierte die Downing Street, dass Johnson nun sehr wohl in Quarantäne gehen werde. Er werde in den kommenden Tagen seine Amtsgeschäfte vom premierministerlichen Landsitz in Chequers ausüben. Hier, wo er mit seiner jungen Familie die Wochenenden zu verbringen pflegt (und Hund Dylan die teuren Empire-Sesselbeine anknabbert), kann Johnson in der lieblichen Landschaft der Grafschaft Buckinghamshire der drückenden Sommerhitze in London entkommen.

„Für alle gilt eine Regel, aber für mich gilt eine andere"

Der – letztlich zurückgezogene – Versuch Johnsons, sich aus einer Pflicht herauszuschwindeln, die er Millionen Mitbürgern auferlegt hat, sorgte dennoch für Riesenaufregung. Die Resonanz war nicht zuletzt deshalb so groß, weil sie die Lebensphilosophie des britischen Premierministers auf den Punkt bringt. Er lebt seit jeher nach der Devise, die ein Partei“freund“ gestern mit den Worten zusammenfasste: „Für alle gilt eine Regel, aber für mich gilt eine andere.“ Beruflich, privat, geschäftlich – die Skandalchronik des Boris Johnson steht jedem Renaissancefürsten gut an. 

Den Briten sind seine Affären weitgehend egal. Was sie aber nicht vertragen – und nicht verzeihen – sind eklatante Verstöße gegen den ehernen Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz: Wenn Chefberater Dominic Cummings unter Coronarestriktionen mit dem Auto herumfährt, „um sein Augenlicht zu testen“; wenn Gesundheitsminister Matt Hancock die Nation mit erhobenem Zeigefinger zum Abstandhalten auffordert und dann im Büro in aller Leidenschaft bei einem Seitensprung gefilmt wird; wenn Innenministerin Priti Patel dem Fußballteam für sein Engagement gegen Rassismus „Symbolpolitik“ vorwirft – dann versteht das ganze Land, dass diese Vertreter des öffentlichen Lebens nicht im Amt zu halten sind. Außer Johnson. 

Der in jedem Fall falsch reagierte und letztlich eine Kehrtwendung nach der anderen machen musste. Vielleicht kann Johnson jetzt den erzwungenen Landaufenthalt für die Lektüre von „Animal Farm“ nützten. Es wäre vielleicht nicht ganz unwichtig zu wissen, wie diese Geschichte endet.

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