Wider die Vernunft: Zum Kino des wichtigen, 2010 verstorbenen französischen Filmemachers. Seine Filme waren altersweise und gelassen.
Es ist nicht so leicht zu erklären, wieso man das Kino von Eric Rohmer (1920–2010) mag. Anders als seine Nouvelle-Vague-Kollegen bietet Rohmer vordergründig wenig (Be-)Greifbares: Ihn kümmern flüchtige Gefühle, flüchtige Beziehungen mehr als radikale Neuerungen. Seine Filme waren immer schon altersweise und gelassen. Das Vermeiden klassischer Dramaturgie und konventioneller Action machen sein gesprächiges Werk zu polarisierender Kunst: Nicht wenige, die im Kino ihr Heil suchen, ärgern sich über Rohmers sanft dahinplätschernde, an klassischen Bildungsbürgerthemen orientierte Dialogmarathons.
„Farbe beim Trocknen zusehen“
Für sie ist Rohmer Inbegriff der Art pour l'art. In Arthur Penns Meisterthriller Night Moves sagt Gene Hackman: „Ich habe schon mal einen Rohmer-Film gesehen: als würde man Farbe beim Trocknen zusehen.“ Das führt mitten in Rohmers widersprüchlichen Kosmos, dessen Eigenständigkeit und Radikalität eher vom Gewöhnliche als Außergewöhnlichen rührt. Sein Werk wellt sich sanft gen Horizont statt sich zuzuspitzen.
Nach Jahren der Lehrtätigkeit und Filmpublizistik ist 1959 ein Schlüsseljahr für Rohmer: Er folgt André Bazin als Chefredakteur der „Cahiers du cinéma“ und realisiert seinen ersten Spielfilm Le signe de lion (Im Zeichen des Löwen) – einen Flop. Breite Anerkennung bringt 1969 Ma nuit chez Maude(Meine Nacht bei Maud): Im dialogischen Gesellschaftsspiel über Moral, Gott und die Welt verbringt ein strenggläubiger Katholik die Nacht im Gespräch mit einer schönen Atheistin und Gott Rohmer fügt den Zufall in die Versuchsanordnung. Gewieftes Weltanschauungskino, das zur damaligen Neukonstellation gesellschaftlicher Ideologien passt, und für zwei Oscars nominiert wird.
Filmzyklen und Geniestreiche
Maude ist Teil von Rohmers erstem Filmzyklus „Moralische Geschichten“. Es folgen „Komödien und Sprichwörter“ und „Erzählungen der vier Jahreszeiten“. Zyklisches Erzählen steht dem Regisseur, dessen Arbeiten keinen konventionellen Abschluss finden können: Themen kehren anders schattiert und kontrapunktisch wieder, werden manchmal nach Jahrzehnten wieder aufgewärmt.
Rohmers Genie wird aber in Filmen außerhalb der Zyklen am klarsten. Sein auf- und abwallender Stil produziert im um Zuspitzung bemühten Historiengenre auf- wie anregende Irritationseffekte: Im Kleist-Film Die Marquise von O...(1976) wie im Zentralwerk Perceval le Gallois (1978) – dem Artusroman in einer Bühnenwelt knatterbunter Kulissen. Rohmers letzter Film Les amours d'Astrée et de Céladon(2007) erzählt eine zeitlose Geschichte verbotener Liebe zwischen einem flötenden Schafhirten und einer lieblichen Maid: Rohmers Œuvre spiegelt sich in dem sanft fließenden, federleichten Lehrstück über Irrungen und Wirrungen des Menschlichseins, das zugleich materialistisch und metaphysisch wirkt, vernünftig und irrational. Vielleicht ist das Rohmers Geheimnis: Er will die Widersprüchliche des Lebens im Kino nicht lösen, sondern nimmt sie einfach hin.
Bis 4. 11., Filmmuseum
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2010)