Unterwegs

Die Qual der Prokrastination

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Geht ein Prokrastinierer auf Reisen, kann er was erleben – falls er denn überhaupt aufbricht.

Wenn Sie dies lesen, bin ich vermutlich auf Urlaub. Möglicherweise aber auch nicht. Denn ich bin Prokrastinierer. Den Drang, Fundamentales zu verschieben, allerlei nicht akute Dinge vorzuziehen, habe ich im Alltag im Griff. In Ausnahmesituationen aber übermannt es mich. Das Reisen ist so eine.

Was es nicht an spontan enorm wichtigen Dingen zu tun gibt, ehe man sich ans Packen des Koffers, an den Spurt zur Straßenbahnhaltestelle, an die Zugfahrt zum Flughafen macht! Zum Beispiel ist es vor jedem Aufbruch so, dass der Zustand unseres Eiskastens mir plötzlich essenziell erscheint. Was da drinnen ist während meiner Abwesenheit verderblich? Was muss ich vorher noch wegessen? Weil: Essen wegschmeißen, das ist mir ein seelischer Graus. Und natürlich ist am Morgen vor der Abfahrt noch immer mindestens ein Viertelliter Joghurt übrig, ein halbes Kilo Erdäpfel in der Speis, von der offenen Milch und dem Apfelsaft ganz zu schweigen. Das muss weg. Oder soll ich den Schwiegereltern nicht vielleicht einen Erdäpfelsalat im Handgepäck bringen? Spinnst du, sagt dann meine Frau, wir fliegen sicher nicht mit Kartoffelsalat durch die Weltgeschichte.

Sind die Reste weggefuttert, stellt sich dem Prokrastinierer eine weitere Frage: Wäre das nicht gleich ein Anlass, den Kühlschrank zu enteisen? Wäre stromsparend, Greta Thunberg fände das sicher gut. Also hupt draußen vor der Tür schon das Taxi, während ich Deiche aus Handtüchern um die Gletscherbäche aus dem Tiefkühlfach erbaue. Beim nächsten Mal, gelobe ich, kümmere ich mich rechtzeitig um all das. Oder zumindest beim übernächsten Mal.

oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2021)

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