Verteidigung

EU-Eingreiftruppe gegen eine Ohnmacht wie in Kabul

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SPAIN-UK-SOMALIA-EU-DEFENCE-PIRACY-BREXITAFP via Getty Images
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Die 27 Verteidigungsminister berieten über den Aufbau einer zumindest 5000 Soldaten starken Truppe, um die völlige Abhängigkeit von den USA zu beenden.

„Wir Europäer haben uns in einer Situation wiedergefunden, in der wir von amerikanischen Entscheidungen abhängig waren“, schrieb der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, diese Woche in einem Gastbeitrag für die „New York Times“. Nach dem „Afghanistan-Debakel“ (Zitat Borrell), in dem europäische Staatsbürger nur durch internationale Hilfe außer Landes gebracht werden konnten, wurden auch beim Treffen der EU-Verteidigungsminister am Donnerstag im slowenischen Brdo Forderungen laut, endlich eine eigene Eingreiftruppe aufzustellen, um künftig selbstständig derartige Herausforderungen zu bewältigen.

„Die Situation in Afghanistan, in Nahost und Sahel zeigt, dass es Zeit ist, zu handeln“, appellierte General Claudio Graziano, der Leiter des EU-Militärausschusses, an die Minister. Gemeinsam mit der EU-Kommission forderte er, den Plan zum Aufbau einer Eingreiftruppe endlich wiederzubeleben. Er liegt seit Jahren in der Schublade. Derzeit steht eine 5000 Soldaten starken Einheit zur Debatte, die in Krisensituationen innerhalb weniger Tage einsatzbereit sein soll. Der slowenische Ratsvorsitz sprach sogar von bis zu 20.000 Soldaten. In den einstigen Beschlüssen der EU-Regierungen, die auf das Jahr 1999 zurückgehen, war eine solche Eingreiftruppe noch mit bis zu 60.000 Soldaten geplant gewesen.

Die deutsche Verteidigungsministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer, betonte in Brdo, dass es nicht um eine „Alternative zur Nato und zu den Amerikanern“ gehe, sondern darum, den Westen gemeinsam zu stärken. Sloweniens Verteidigungsminister, Matej Tonin, schlug in einem ersten Schritt eine „Koalition von Willigen“ vor, die eine solche Truppe aufstellen soll.

Bisher war die EU uneins

Die EU-Mitgliedstaaten haben freilich bereits mehrere Anläufe unternommen, eine solche gemeinsame militärische Kapazität zu schaffen. In Brüssel wurde zwar das „Military Planning and Conduct Centre“ eingerichtet, eine kleine Stabstelle, die bisher allerdings nur Friedenseinsätze koordiniert. Weil eine große Eingreiftruppe mangels Engagement der Mitgliedstaaten lang als unrealistisch galt und es an einer gemeinsamen Kommandozentrale fehlte, wurden als Kompromiss lediglich „Battlegroups“ geschaffen, die von jeweils einem EU-Land geleitet werden und an denen sich für sechs Monate mehrere nationale Armeen beteiligen können. Sie wurden allerdings noch nie aktiviert. Mehrfach war über ihren Einsatz diskutiert worden – etwa auf französisches Drängen für die Befriedung von Mali. Doch scheiterte dies am Widerstand einiger Länder. In Außen- und Sicherheitsfragen gilt in der EU nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip.

Für den Aufbau einer von den USA unabhängigen europäischen Truppe spricht sich seit Jahren Frankreich aus. Deshalb verwundert auch nicht, dass der französische EU-Kommissar, Thierry Breton, diese Woche eine treibende Kraft für solche Bestrebungen war. Er forderte in einem Gespräch mit unserem „Presse“-Korrespondenten in Brüssel und weiteren Journalisten den Aufbau einer schnelle Eingreiftruppe, einer Kommandozentrale und das Festschreiben einer Sicherheitsdoktrin. Sie soll klären, bei welchen Bedrohungen die Truppe zum Einsatz kommen könnte. Dieser Aktivierungsrahmen soll einen gemeinsamen Beschluss der EU-Regierungen erleichtern, die Soldaten im Bedarfsfall loszuschicken.

Kritik an Plänen für eine gemeinsame EU-Truppe kam in den vergangenen Jahren meist aus osteuropäischen Ländern. Sie fürchteten eine Aushöhlung der Nato und in Folge weniger Schutz an ihrer Ostgrenze. Lettlands Verteidigungsminister, Artis Pabriks, stellte bei der aktuellen Debatte mit seinen Amtskollegen den Willen einiger EU-Partner infrage, sich wirklich aktiv an einer solchen Truppe zu beteiligen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2021)

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