Monte Hellman: Wie ein sadistischer, ausgemergelter Hitchcock

Monte Hellman sadistischer ausgemergelter
Monte Hellman sadistischer ausgemergelter(c) AP (Joel Ryan)
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Der legendäre Hollywood-Außenseiter hat nach 20 Jahren ein preisgekröntes Comeback vorgelegt: "Road to Nowhere" läuft bei der Viennale. Ein Gespräch mit Hellman und seinem Autor Steven Gaydos.

Die Presse: Herr Hellman, nach über 20 Jahren Pause haben Sie mit „Road to Nowhere“ wieder einen Spielfilm gedreht. Wie kam es dazu?

Monte Hellman: Mein Drehbuchautor Steven Gaydos hatte die Idee und schlug mir den Stoff vor. Er behauptet ja, es sei die erste seiner Ideen, die mir je gefallen hat – nach 40 Jahren! Aber er geht immer viel härter mit mir ins Gericht als ich mit ihm. Tatsächlich haben wir bisher immer Auftragsarbeiten zusammen gemacht, nun verdankt sich der Film erstmals ganz seiner Inspiration. Steven war also ermutigt und entwickelte ein wunderbares Drehbuch. Wir fanden eine Methode, es immer persönlicher zu machen, bevor es ein künstlerischer Austausch mit allen Beteiligten wurde: Der Kern handelte von uns beiden, dann brachten sich auch alle anderen ein. Finanzierbar war der Film nur, indem ich die Studenten meiner Regieklasse am „California Institute of Arts“ als Crew beschäftigte und so Geld sparte. Das Budget steht bei etwa 5 Mio. Dollar.

„Road to Nowhere“ handelt von einem Regisseur, der einen Film nach einem wahren Verbrechen dreht und eine Beziehung mit seiner Hauptdarstellerin beginnt. Die beiden Obsessionen überschneiden sich fatal. Erzählt ist das in einer sehr ungewöhnlichen, verschachtelten Struktur. Ergab sich das bei der Herstellung?

Hellman: Nein, alles wurde so gedreht, wie es geschrieben war. Die Herausforderung war nur, es etwas zugänglicher zu machen. Unsere großartige Cutterin Céline Ameslon überzeugte mich, indem sie sagte: „Es wird die Faszination dieser komplexen Geschichte nicht zerstören, wenn wir den Zusehern ein wenig Hilfestellung geben.“ So machte sie den Film ein kleines bisschen geradliniger, ohne die Grundidee zu ruinieren.

So erinnert der Film ans progressive „New Hollywood“-Kino der Siebzigerjahre, als Sie Klassiker wie „Two-Lane Blacktop“ drehten. Der damalige Einfluss von europäischen Filmemachern ist in der verschachtelten Erzählung noch stärker zu spüren, man denkt etwa an Alain Resnais.

Hellman: Es stimmt, alle meine bisherigen Filme waren ganz geradlinig erzählt. Und tatsächlich haben mich da Resnais und Akira Kurosawa beeinflusst, auch wenn es genauso gut Quentin Tarantino hätte sein können, bei dessen Debütfilm „Reservoir Dogs“ ich ja ausführender Produzent war.

Steven Gaydos: Als ich Monte 1971 zum ersten Mal traf, wollte er gerade einen Film mit Sean Connery in der Hauptrolle machen, und zwar nach Alain Robbe-Grillets „La maison de rendez-vous“ („Die blaue Villa in Hongkong“). Als daraus nichts wurde, wollten wir Charles McCarrys Roman „Das Miernik Dossier“ adaptieren, der eine Spionagegeschichte in einer Cut-up-Technik à la William Burroughs erzählt. Und dann versuchten wir uns noch an Jorge Semprúns „Der zweite Tod des Ramón Mercader“ – alles lange, bevor Tarantino einen Film drehte.

„Road to Nowhere“ ist letztlich ein erschütternder Film über Einsamkeit: das große Hellman-Thema.

Hellman: Ich habe in meinem Leben einen einzigen Drehbuchkurs absolviert. Wir beschäftigten uns ausschließlich mit einem einzigen Buch, John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“. Was uns der Lehrer vermitteln wollte, war, dass es nicht auf das Medium ankommt: Zuerst gab es den Roman, dann wurde der Stoff als Theaterstück, als Hörspiel und schließlich als Film adaptiert. Aber es lief immer auf dasselbe hinaus: Denn der Kern dieser Geschichte ist keine Idee, sondern ein Thema, das immer wiederholt und variiert wird, wie bei einem musikalischen Thema. Und das Thema ist Einsamkeit. Eine Figur klagt: „Wir sind die einsamsten Kerle der Welt.“ Dann kommt ein Mädchen und sagt etwas Ähnliches usw. Ich glaube, dass Filme viel mehr mit Musik zu tun haben als mit Literatur und Drama.

Ihre Bilder sind so komponiert, dass Sie entleert wirken, bis nur eine entscheidende Geste, ein wesentlicher Charakterzug, übrig bleibt. Das erzeugt dieses überwältigende Gefühl von Einsamkeit. Arbeiten Sie mit Reduktion oder versuchen Sie, die Dinge von vornherein so anzulegen?

Hellman: Es ist ein Prozess des Eliminierens.

Gaydos: Ein gutes Beispiel ist das Foto, das man in der letzten Szene des Films sieht. In meinem Drehbuch war es ganz anders beschrieben, mit viel mehr Inhalt: Es hatte mit Kuba zu tun, die Femme fatale war dort mit anderen Menschen zu sehen. Monte kam zu mir und sagte ganz höflich: „Aaaah, weißt du, ich glaube...“ – und entfernte all das einfach. So ist das Bild aufs Wesentliche reduziert: die Tragödie und die Romanze. Für mich war das in Ordnung. Im Skript hatte ich mir das falsche Foto vorgestellt, darauf war zu viel los. Das ist eine einfache Sache, aber sehr aussagekräftig: Monte hat ein unfehlbares und präzises Gespür für Minimalismus, er weiß, wie man sich auf den emotionalen Kern des Themas konzentriert.

„Road to Nowhere“ ist ein Film über das Filmemachen und ein Film noir. Ist eines der beiden Elemente wichtiger oder ging es um die Balance?

Hellman: Mit Genres wie dem Film noir zu arbeiten, macht mir Spaß. Denn die größte Freude am Filmemachen ist es, eine starke Gefühlsreaktion im Publikum zu erzeugen – und den stärksten Effekt erzielt man, indem man die Zuseher so erschreckt, dass sie sich in die Hosen machen! Für mich als sadistischer, ausgemergelter Alfred Hitchcock ist es jedes Mal ein grenzenloses Vergnügen zu sehen, wie das Publikum praktisch aus den Sesseln hüpft, wenn das Flugzeug abstürzt!

Haben sich in den Jahrzehnten, in denen keines Ihrer Filmprojekte realisiert wurde, Ihre Haltung zum Kino und Ihre Ästhetik geändert?

Hellman: Nicht wirklich. Aber ich hoffe, dass ich subtiler geworden bin, in der Art, wie ich reduziere und meine Effekte einsetze.

Zur Person

Monte Hellman (*1932, New York) begann seine Kinolaufbahn bei B-Film-König Roger Corman. Aufsehen erregte er als Regisseur von existenzialistischen Western mit Jack Nicholson („The Shooting“, 1967). Hellmans Road Movie „Two-Lane Blacktop“ (1971) und seine Studie „The Cockfighter“ (1975) gelten als Schlüsselwerke der „New Hollywood“-Ära, doch sorgte seine kompromisslose Ästhetik für lange Schaffenspausen. Für das Comeback „Road to Nowhere“ erhielt Hellman den Preis fürs Lebenswerk beim Filmfest Venedig 2010.

„Road to Nowhere“ bei der Viennale: 22. 10., 18 Uhr, Gartenbau; 23. 10., 16 Uhr, Urania.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2010)

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