Leitartikel

Die Steuerreform oder das Prinzip linke Tasche, rechte Tasche

Pressekonferenz am 3.10.2021 zur Steuerreform
Pressekonferenz am 3.10.2021 zur Steuerreform(c) imago images/SEPA.Media (Martin Juen via www.imago-images.de)
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Die Regierung beschließt mit der Steuerreform ihr zweites Prestigeprojekt. Die Finanzierung basiert auf dem Prinzip Hoffnung – und der Inflation.

Es gibt es also, das Beste beider Welten. Steuersenkung für alle und besonders für den Mittelstand, schrittweise Senkung der Körperschaftsteuer für die Wirtschaft hier. Notwendige Umstellung des Steuersystems auf eine ökologische Grundlage mittels Besteuerung von Kohlendioxid dort.

Aber natürlich gibt es auch das Schlimmste/Infantilste beider Welten. Das Diesel-Privileg für die heilige Kuh Landwirtschaft bleibt hier. Die nicht ganz eigenverantwortliche Idee, die höhere Kohlendioxid-Besteuerung mittels Klimabonus für alle quasi umzuverteilen, steht dort. Zur Erklärung: Der Staat nimmt also das Geld aus der einen Tasche der Konsumenten (CO2-Steuer) und steckt es in die andere Tasche jedes Bürgers wieder zurück (Klimabonus). Willkommen im türkis-grünen Nudging-Nannystaat.

Aber denken wir zurück an die rot-schwarze Koalition und ihre kleinsten gemeinsamen Nenner als Maß aller Regierungsdinge. Nun wird immerhin der größte gemeinsame Nenner gefeiert. Soll heißen: Beide Parteien dürfen aus dem Budget-Vollen schöpfen. Kein Wunder, dass schon am Sonntag in den üblichen Telefonaten mit den Spitzenrepräsentanten beider Parteien sowohl von einer Sternstunde bürgerlicher Politik als auch von einem Durchbruch und Siegeszug einer neuen ökologischen Strategie gegen Klimawandel und Armut die Rede war.

Im Kern beider Übertreibungen steckt mehr als ein nur ein Körnchen Wahrheit. Die ÖVP kann mit breiten Einkommensteuersenkungen ein altes Wahlversprechen wahr machen wie die Grünen eines der ihren: Die Befeuerung der Erderwärmung wird mehr und mehr kosten, wie die Menschen im Land ebenso spüren werden wie das Plus auf dem Gehaltszettel. Hinzu kommt ein schönes Steuergeschenk an Eltern, das in jedem Fall vertretbarer ist als Sozialtransfers mit der Gießkanne und ohne Zweckbindung, das geht auf das Konto der ÖVP. Dass Bewohner ohne (nahe) Möglichkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, einen deutlich höheren Klimabonus bekommen werden – er ist gestaffelt –, zeigt auch: Die ÖVP versteht sich als Landpartei. Fortschrittlicher erscheint die Maßnahme, mittels Steuerfreibetrag Mitarbeiterbeteiligungen zu fördern. Die können eine wichtige Antwort auf die Frage sein, wie sich Österreich (und Europa) im internationalen Wettbewerb aufstellt.

Am Punkt CO2-Besteuerung wären die Verhandlungen Freitagnacht fast gescheitert: Die Grünen wollten wesentlich mehr als 30 Euro, die Türkisen blockierten und verwiesen auf die deutsche Praxis. (Dass über Mineralölsteuer und Co. ohnehin schon besteuert wird, wird generell dezent vergessen.) Dass auch Österreicher, die keine Beschäftigung und vielleicht kein Auto haben, einen Klimabonus erhalten, setzten die Grünen durch. Das ist genau genommen eine Neuerfindung: eine Ökosozialleistung. Zusammengenommen können die Ziele beider Parteien mit all diesen Maßnahmen aber tatsächlich schneller erreicht werden: mehr Klimaschutz und dennoch mehr Wirtschaftsleistung. Bezahlt mit CO2-Steuern und Schulden.

„Was kostet die Welt?“, möchte man/frau höflich fragen. Die Wünsche beider Welten immerhin 18 Mrd. Euro in den kommenden Jahren, lautet die Antwort.

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