Migrationskrise

Russische Bomber über Belarus, Schüsse an der Grenze

uznica Bialostocka, Poland, in this photograph released by the Polish Defence Ministry
uznica Bialostocka, Poland, in this photograph released by the Polish Defence MinistryREUTERS
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Nach dem gewaltsamen Durchbruch Dutzender Migranten nach Polen wurden die meisten davon am Mittwoch gestellt und großteils zurückgeschoben. Mittlerweile wird das belarussische Militär aber immer aktiver und Russland schickt demonstrativ Kampfflugzeuge über das Krisengebiet.

Die Lage an der Grenze zwischen Belarus und Polen hat sich nach dem gewaltsamen Durchbruch Dutzender Migranten in der Nacht auf Mittwoch im Laufe des Vormittags enorm verschärft: Berichten zufolge gaben belarussische Sicherheitskräfte Schüsse ab; sie schossen in unmittelbarer Nähe der Menschen in die Luft, um Migranten Angst zu machen und sie weiter an die Grenze zu Polen zu drängen, twitterte das polnische Verteidigungsministerium. Etwas weiter im Landesinneren wurden mindestens 150 Migranten von der Polizei festellt, denen der Durchbruch durch die Grenzsperren gelungen war.

Polen erwägt laut Regierungssprecher Piotr Müller, die Grenze zu Belarus jetzt komplett und auch für den Handelsverkehr zu schließen. Dies werde als Option in weiterreichenden Szenarien berücksichtigt, sagte er am Mittwoch im Interview mit dem Portal „Wirtualna Polska". Belarus sei informiert worden, dass eine solche Möglichkeit bestehe, wenn es seine entsprechenden Aktivitäten im Konnex mit der Migrationswelle nicht einstelle. Eine Rückmeldung habe es dazu bisher nicht gegeben.

„Backfire"-Bomber sollen Luftverteidigung testen

Ein besonders ungutes Signal kam derweil aus Russland, dem Verbündeten des belarussischen Regimes von Präsident Alexander Lukaschenko: Russischen Medienberichten zufolge seien zwei strategische Bomber vom Typ Tupolew Tu-22M3 (Nato-Code: Backfire) in den belarussischen Luftraum zu Manövern geschickt worden. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erwähnte zwar keinen Zusammenhang mit der Migrationskrise, sagte aber, die überschallschnellen Bomber sollten mithelfen, die Luftabwehrsysteme von Belarus auf ihre Bereitschaft zu testen und zugleich die gespannte Lage an der Nato-Ostgrenze zu demonstrieren.

imago images/ITAR-TASS

In Belarus sind auch sonst immer wieder russische Truppen und Luftwaffenverbände stationiert. Kürzlich wurden Nutzungsrechte für mehrere Basen, darunter ein Radarsystem nahe der Grenze zu Polen, verlängert.

Moskau hatte in den vergangenen Tagen der EU und insbesondere Polen, Lettland und Litauen die Hauptschuld an der aktuellen Migrationskrise gegeben. Europa wolle Belarus mit Sanktionen und Grenzsperren „die Luft abschneiden" und möge mit der Regierung in Minsk in Verhandlungen eintreten. Außenminister Sergej Lawrow sagte bei einer Pressekonferenz mit seinem belarussischen Kollegen Wladimir Makei, er hoffe, dass sich „verantwortungsbewusste Europäer" nicht in eine Spirale ziehen ließen, die „ziemlich gefährlich" werden könne.

Merkel blitzte bei Putin ab

Aus Berlin hieß es am Mittwoch, dass Noch-Kanzlerin Angela Merkel Russlands Präsidenten, Wladimir Putin, angerufen habe: Er möge in dem Konflikt vermitteln und auf Lukaschenko einwirken, dass dieser seine die illegale Migration fördernden Aktionen einstelle. Die Benützung von Migranten (aus Nahost, Asien, Nordafrika etc., Anm.) als Waffe gegen die EU sei unmenschlich und nicht hinnehmbar, so Merkel.

Belarusian Foreign Minister Vladimir Makei visits Moscow
Belarusian Foreign Minister Vladimir Makei visits MoscowREUTERS

Laut einem ersten Bericht der Agentur Bloomberg handelte sich Merkel allerdings eine Abfuhr ein. Man habe mit der Migrationskrise nichts zu tun - und die EU solle sich die Sache mit Lukaschenko selber ausmachen.

In den Wäldern an den Grenzen von Belarus zu Polen, Litauen und Lettland halten sich Berichten zufolge Tausende Migrationswillige auf, die in der Regel nach Deutschland wollen. Insgesamt könnten schon mehr als 15.000 solcher Menschen in Belarus sein, vor allem auch in Städten im Hinterland, speziell Minsk, denn viele trauten sich aktuell nicht vor ins Grenzland und wollten die Entwicklung der Dinge abwarten.

Zäune bald doch legitim?

EU-Ratspräsident Charles Michel (ein Belgier) deutete indes bei einem Besuch in Warschau erstmals offen an, dass man darüber diskutiere, die von der Krise betroffenen EU-Staaten im Osten auch beim Bau von „physischer Infrastruktur" zum Grenzschutz zu unterstützen. Damit meinte er verklausuliert wohl auch Zäune, Mauern, Wachtürme.

Lithuanian army servicemen in Kapciamiestis
Lithuanian army servicemen in KapciamiestisREUTERS

Bisher weigert sich die EU-Kommission, sich an solchen Sperranlagen zu beteiligten. Eine Rechtsauskunft des juristischen Dienstes des EU-Rates habe indes ergeben, dass das geltende Europarecht der EU sehr wohl erlaube, solche Sperren zu finanzieren, sagte Michel.

Ukraine befüchtet Migrations-Umweg über ihr Gebiet

Mittlerweile hat auch das Nicht-EU-Mitglied Ukraine begonnen, die Grenzschutzmaßnahmen gegenüber Belarus zu festigen. Das gab Vize-Innenminister Yevhen Yenin am Mittwoch bekannt. Beide Staaten teilen eine rund 1100 km lange Grenze, das ist weit mehr als die jeweiligen Grenzabschnitte von Belarus zu Polen, Litauen bzw. Lettland. Es gibt Befürchtungen, dass Migranten von Belarus aus versuchen könnten, über das nordwestlichste Ecke der Ukraine im Großraum der Pripjetsümpfe auszuweichen und in den Südosten Polens einzudringen.

Die EU wirft Machthaber Alexander Lukaschenko vor, absichtlich Migranten ins Land zu lassen und Richtung EU zu schleusen, um damit Vergeltung für Sanktionen zu üben. Mehrere hohe Politiker aus EU-Staaten haben Lukaschenko bereits klar als „staatlichen Schlepper“ bezeichnet.

(APA/Reuters/DPA/AFP)

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