Suburbanisierung

Wenn Berlin für Immobilienkäufer nicht mehr sexy ist

Tübingen, Germany
Tübingen, Germany(c) Getty Images
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Aufgrund hoher Preise in den großen Metropolen weichen Immobilienkäufer immer öfter in Mittel- und Kleinstädte im Umland aus. Corona hat diesen Trend noch verstärkt.

Die Coronakrise hat die hohe Nachfrage nach Immobilien weiter beflügelt. In den ersten acht Monaten des laufenden Jahres haben die Preise fast so stark angezogen wie im Gesamtjahr 2020, heißt es in einer Analyse der Interhyp AG. „Der Preisanstieg macht den Erwerb für Immobilienkäufer zunehmend schwieriger, selbst in den Städten im Umfeld der großen Metropolen“, berichtet Jörg Utecht, Vorstandsvorsitzender der Interhyp.

Bislang konnten die steigenden Preise durch sinkende Finanzierungszinsen und steigende Einkommen zumindest teilweise kompensiert werden. Laut Erhebungen von VDP Research sind die Preise für selbstgenutztes Wohneigentum in Deutschland seit 2010 um rund 80 Prozent gestiegen, während die verfügbaren Einkommen der Haushalte heute im Schnitt etwa 30 Prozent höher liegen.

Abkehr von den Metropolen

Aufgrund der Preisentwicklung in Deutschlands Großstädten kehren Immobilienkäufer den Metropolen nun zusehends den Rücken. So beobachtet Interhyp einen fortgesetzten Trend, beim Kauf in mittlere und kleinere Städte auszuweichen. „Dieser Trend zeichnet sich schon seit vielen Jahren ab“, sagt Utecht. Allerdings kurbelt die Flucht aus den Metropolen wiederum die Preise in deren Umkreis kräftig an. Interhyp verweist in diesem Zusammenhang etwa auf Esslingen in Baden-Württemberg, wo die durchschnittlichen Kaufpreise inklusive Nebenkosten pro finanziertem Objekt um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind. In Offenbach, einem Vorort von Frankfurt, wurden Preissteigerungen von 27 Prozent verzeichnet, in Tübingen bei Stuttgart ein Plus von neun Prozent.

Das sei auch professionellen Investoren nicht verborgen geblieben, weiß Volker Eichener, Supervisor beim Immobilienconsulter Aengevelt Research. „Diese erweitern bereits seit geraumer Zeit ihren Anlagefokus vermehrt auf B- und C-Städte, wo noch höhere Renditen erzielt werden können als in den ,Big Seven‘, in denen die Einstandspreise inzwischen sehr hoch sind.“ Dazu zählten insbesondere die ostdeutschen Großstädte, allen voran die sächsische Metropole Leipzig. „Während es in den westdeutschen Städten teilweise zu Einbrüchen gekommen ist, haben beispielsweise die Umsätze in Leipzig und Dresden weiter zugenommen“, sagt Eichener. Hierbei habe sich Corona als Trendverstärker erwiesen.

Laut Erhebungen des Immobilienberatungsunternehmens Empirica ist die Einwohnerzahl von Berlin und Frankfurt im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr nicht mehr gestiegen, in Stuttgart oder Düsseldorf sogar gesunken. Stehen wir somit vor einer Zeitenwende oder ist das nur eine Verschnaufpause? Für eine Zeitenwende spricht, dass es sich um keinen abrupten Trendbruch handelt.

Bereits seit einigen Jahren beobachtet Empirica eine zunehmende Suburbanisierung aus den Groß- und Schwarmstädten. Demnach wandern vor allem junge Familien auf der Suche nach einer großen, aber bezahlbaren Wohnung verstärkt ins entferntere Umland. Außerdem profitierten durch die Zuwanderung junger Menschen mittlerweile mehr und mehr Mittelstädte, die bisher eher geschmäht worden sind. Profiteure dieses Trends sind vor allem solche Klein- und Mittelstädte, die gut an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen oder schnell mit dem Auto erreichbar sind.

Corona als Trendverstärker

Dass Metropolen eine gedämpftere Einwohnerentwicklung erleben, ist auch einer Studie von LBBW Research zu entnehmen. Dieser Trend werde sich vorerst fortsetzen und einem Heißlaufen der Immobilienmärkte in den großen Städten entgegenwirken, sind sich die Analysten sicher. „Besonders Stuttgart sticht hier hervor, das unter den großen Städten 2020 den stärksten Einwohnerrückgang verzeichnet hat“, sagt Martin Güth, Senior Economist der LBBW.

Diese Entwicklung könnte sich sogar noch stärker dynamisieren, als viele Experten erwarten. Für alle, die dank coronabedingter Home-Office-Vereinbarung nicht mehr täglich zur Arbeit pendeln müssen, gewinnt ein Haus oder eine größere Wohnung im Umfeld einer Metropole nämlich an Attraktivität – was die Preise in Mittel- und Kleinstädten wohl weiter in die Höhe treiben wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2021)

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