Gewaltschutzgipfel

319 Frauenmorde in elf Jahren in Österreich

2. GEWALTSCHUTZGIPFEL: RAAB / SORGO / NEHAMMER
2. GEWALTSCHUTZGIPFEL: RAAB / SORGO / NEHAMMERAPA/GEORG HOCHMUTH
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Frauenministerin Raab und Innenminister Nehammer präsentierten im Rahmen des zweiten Gewaltschutzgipfels eine neue Studie über Gewalt an Frauen in Österreich. Untersucht wurden 777 Fälle, darunter 319 Frauenmorde. Mehr als 80 Prozent der Opfer kannten den Täter.

Der zweite Gewaltschutzgipfel hat am Dienstag die jährliche Initiative "16 Tage gegen Gewalt" für Österreich eingeläutet. Innenminister Karl Nehammer und Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) präsentierten eine Studie, für die von 2010 bis 2020 verübte 777 Fälle untersucht wurden - 319 Frauenmorde und 458 Mordversuche. Eine deutliche Mehrheit der Opfer war jünger als 39 Jahre, sieben von zehn waren Österreicherinnen, in mehr als 80 Prozent der Fälle kannten sich Täter und Opfer.

Knapp 40 Prozent der Opfer waren 18 bis 39 Jahre alt, 7,5 Prozent noch jünger, rund 32 Prozent zwischen 40 und 59, und 21 Prozent waren über 60 Jahre alt, so die Daten von Birgitt Haller, Leiterin des Instituts für Konfliktforschung. Bei mehr als 60 Prozent bestand eine familiäre Beziehung zwischen Opfer und Täter, bei fast 46 Prozent zudem eine Hausgemeinschaft, das heißt sie lebten zusammen.Die meisten Tatverdächtigen, gut 44 Prozent, waren jünger als 39 Jahre, zwei Drittel österreichische Staatsangehörige. 2019 war in der Untersuchungsperiode das Jahr mit den meisten Frauenmorden. Allein in diesem Jahr wurden 111 Taten gezählt, 43 Frauenmorde und 68 versuchte Morde. Heuer wurden nach Zählweise der beiden Ministerien laut Raab bereits 28 mutmaßliche Frauenmorde begangen, wobei auch einige Fälle von Mord und Suizid des Täters berücksichtigt wurden.

Täterarbeit für viele Frauen Erleichterung

Das wegen Corona großteils online durchgeführte Event mit mehr als 250 angemeldeten Teilnehmerinnen vernetze alle Akteure, von Polizei über Expertinnen bis Forschung, und Vernetzung sei "im Gewaltschutz der entscheidende Faktor", betonte Raab. Täter müssten "mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft" werden, gleichzeitig müsse die Prävention noch besser werden. "Es gibt keine Maßnahme, die zu 100 Prozent wirkt, aber wir sind nicht machtlos", appellierte die Ministerin an die "Zivilcourage". Weil Gewalt so oft "in den eigenen vier Wände" stattfinde, will sie Betroffene mit Informationen zu Hilfsangeboten "erreichen und ermutigen". Die Basis für Selbstbestimmung und somit für Gewaltprävention sei finanzielle Unabhängigkeit, das Problem müsse daher gesamtgesellschaftlich angegangen werden. Sie verwies einmal mehr auf das 24,6 Millionen Euro schwere Gewaltschutzpaket, die Mittel, zum Beispiel fünf Millionen zusätzlich für die Gewaltschutzzentren oder plus drei Millionen für die Familienberatung, seien bei den Organisationen "im Ankommen".

"Die Kooperation aller beteiligten Behörden erhöht die Sicherheit der Betroffenen", sagte Marina Sorgo, Vorsitzende des Dachverbandes der Gewaltschutzzentren, anlässlich der Unterzeichnung eines Kooperationsvertrags mit Raab und Nehammer. Die Zentren, die jährlich rund 20.000 Opfer betreuen, erhalten nunmehr 50 Prozent mehr finanzielle Mittel und es sei kontraproduktiv, wenn sich Frauen nicht zu melden trauten, weil sie den Eindruck hätten, "dass wir ständig überlastet sind", betonte sie. Die mit September neu eingeführte Täterarbeit bedeute für viele Frauen eine Erleichterung, weil sich der Gefährder, meist der Partner, dort mit seiner Gewaltbereitschaft auseinandersetzen müsse.

Qualitative Untersuchung folgt

Die Polizei sei immer noch zu wenig involviert, wenn Frauen und ihren Kindern Gewalt angedroht oder angetan wird, unterstrich Nehammer die Wichtigkeit des Polizeinotrufs 133 und betonte: "Die Polizistinnen und Polizisten sind für diese schwierigen Einsätze gerüstet." Aber nur bei einem Tötungsdelikt in diesem Jahr sei im Vorfeld ein Betretungs- bzw. Annäherungsverbot im Vorfeld verhängt worden. Insgesamt seien heuer bisher rund 12.100 Betretungs- bzw. Annäherungsverbote ausgesprochen worden, etwa 1.400 mehr als im selben Zeitraum 2020.

Die Daten aus der neuen Studie seien nur ein erster Schritt, wurde betont. Es folgt voraussichtlich bis zum Frühjahr eine qualitative Untersuchung der Fälle, zudem wurde Innenministerium eine weitere Studie zum Dunkelfeld bei Gewalt in der Privatsphäre in Auftrag gegeben. Sie könnte noch vor den Weihnachtsfeiertagen präsentiert werden.

(APA)

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