Dauerschauen

Binge-Watching als Problembewältigung?

Binge-Watching gleicht dem Verhalten bei anderen Süchten (Symbolbild).
Binge-Watching gleicht dem Verhalten bei anderen Süchten (Symbolbild).(c) Getty Images (Sean Gallup)
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Das Ansehen mehrerer Folgen einer Fernsehserie am Stück, Binge-Watching genannt, erfreut sich wachsender Popularität. Dass es sich dabei auch um ein potenziell problematisches Verhalten handelt, sollte - trotz Hype - nicht außer Acht gelassen werden.

Serien schauen - die wohl beliebteste Lockdown-Aktivität neben dem Spazierengehen. Nicht selten bleibt es dabei nicht bei den ein oder zwei geplanten Folgen. Wer besonders anfällig dafür ist nicht abzuschalten und was hinter dem Phänomen steckt, haben Forscherinnen und Forscher aus Polen kürzlich untersucht. 654 Binge-Watcher, also jene Menschen, die häufig am Stück mehr als zwei Folgen anschauen, im Alter zwischen 18 und 30 Jahren wurden hierfür befragt. Die Ergebnisse sind weniger lustig als die Aktivität selbst. Schwierigkeiten bei der Impulskontrolle, mangelnde Vorsätze sowie eine eskapistische Motivation, etwa das Umgehen von Einsamkeit, sollen diese Art von Dauerschauen besonders fördern.

Binge-Watching fungiert hierbei als Mittel zur Flucht vor Emotionen sowie zu deren Regulierung. Solch eine labile Ausgangslage kann schnell zu einem exzessiven und schädlichen Verhalten führen. Jedoch sei die Grenze zwischen gesundem Binge-Watching und jenem, das einer Sucht unterliegt, bisher undefiniert.

Gefährliche Endlosschleife

Vor dem Hintergrund, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO die Onlinespielsucht, also das ewige Computerspielen im Internet, als eigene Krankheit anführt, liegt die These nahe, dass das Dauerschauen von Serien neben unterhaltsamen ebenfalls gefährliche Aspekte mit sich bringt. 95 Stunden Serien zu schauen - das ist der aktuelle Binge-Watching-Weltrekord - klingt jedenfalls nicht gesund, auch wenn es sich hier natürlich um ein Extrembeispiel handelt. Durchschnittliche Binge-Watcher schauen am Stück zwei bis fünf Folgen. 20 Prozent der Befragten gaben an, sogar zwischen sechs und 20 Folgen hintereinander zu schauen.

Vor allem exzessive Binge-Watcher scheinen Schwierigkeiten zu haben, ihr Verhalten zu planen und zu bewerten, bevor sie einem bestimmten Impuls folgen. Ähnlich dem Verhalten bei anderen Süchten wird die Entscheidung für exzessives Binge-Watching sehr wahrscheinlich automatisch getroffen. Die Vernachlässigung von Pflichten, schlechte schulische oder berufliche Leistungen sowie die Vermeidung sozialer Aktivitäten und Kontakte können die Folge sein. Ebenso besteht die Gefahr negativer gesundheitliche Auswirkungen. Eine Forschungsgruppe aus Texas warnte bereits vor fünf Jahren vor psychischen Folgen. Zudem versuchen exzessive Binge-Watcher durch das Schauen negative Gefühle zu lindern oder sich von alltäglichen Problemen abzulenken.

Streaming-Plattformen an der Macht  

Neben automatisierter neurologischer Abläufe nehmen auch die Streaming-Plattformen selbst erheblichen Einfluss auf die (unbewusste) Entscheidungsfindung. Strukturelle Elemente, etwa die Autoplay-Funktion, durch die die nächste Episode einer Serie quasi nahtlos an die vorherige anknüpft, oder der Einsatz von sogenannten „Cliffhangers", also dem offenen Ende einer Folge, das zum Weiterschauen anregt, fördern das Binge-Watching-Verhalten zusätzlich. Die polnische Forschungsgruppe sieht Regulierungen für Streaming-Plattformen als wünschenswert.

Spaß am Schauen

Trotz der negativen Aspekte, die mit Binge-Watching in extremen Fällen einhergehen können, steht der Unterhaltungsfaktor als Motivation für die meisten Schaulustigen immer noch im Vordergrund. Die, die aus reinem Vergnügen stundenlang Binge-Watchen, gibt es also auch. Was außerdem im Lockdown eine Rolle spielen dürfte - wenn es an anderen Aktivitäten mangelt - ist die Befriedigung kognitiver Bedürfnisse, etwa durch das Lernen neuer Informationen. Manch ein Binge-Watcher widmet sich dazu komplexen, fesselnden Handlungen, um die fehlende Auslastung ein Stück weit zu kompensieren.

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(evdin)

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