Glaubensfrage

Zeichen der Zuversicht

Einkaufen am Sonntag, dieses Abenteuer ist diesmal möglich. Und am Abend erstrahlt ein neues Lichtermeer. Zeichen der Zuversicht in, wie sagt man, herausfordernden Zeiten.

Die vierte Kerze brennt. Sie brennt auf den Adventkränzen in Wohnungen, Restaurants, Geschäften, Büros, als Deko, nostalgischer Brauch, längst weit über den christlichen Kern hinaus. Man muss das wirklich nicht schlecht finden.

Und am Abend dieses Sonntags, wenn es draußen und in den Geschäften dunkel geworden ist (die an diesem Sonntag aber nur wirklich ausnahmsweise offen haben dürfen, wie selbst der Wirtschaftskammer-Chef der wundersamen Wiener Welt betont) werden Hunderte, Tausende Kerzen flackern. Rund um die Innenstadt auf der Ringstraße wird eine Art Lichtermeer, Folge zwei, erste Staffel gebildet. Mit dieser Aktion wollen die Organisatoren der Toten der Pandemie gedenken – mehr als 13.000 Menschen sind es allein in Österreich. Daneben soll sie Ausdruck des Dankes an das viel geprüfte Personal in Spitälern und Gesundheitseinrichtungen generell sein. Und diese Lichterkette kann auch als Zeichen von gesellschaftlichem Zusammenhalt und von Zuversicht gelten.

Zuversichtlautet auch der Titel einer empfehlenswerten Neuerscheinung einer ungewöhnlichen Bestsellerautorin, die gerade jetzt, während es rundherum von Ängsten nur so wimmelt, zur rechten Zeit kommt. Vielleicht noch ein Weihnachts-Geschenktipp knapp vor der Zielgeraden oder als Möglichkeit, sich selbst zu beschenken für eine Art Feintuning des eigenen Lebens. Die gebürtige Deutsche Melanie Wolfers lebt in Österreich, hat Theologie studiert, ist als Ordensfrau bei den Salvatorianerinnen (das sollte nicht abschrecken) und betreibt auch einen Podcast. Sie hat keinen platten Ratgeber mit Patentrezepten für alle Lebenslagen geschrieben. Sondern ein behutsames Plädoyer für das Erkennen der Bedeutung von Zuversicht.

Ihr Credo im Stakkato als Teaser, der dem Gesamttext natürlich nicht gerecht werden kann: Nicht nur das Negative sehen, auch aufmerksam werden für das Positive; Abschied nehmen von der Illusion, alles kontrollieren zu müssen oder zu können; offen sein für das Unerwartete; sich mit Unsicherheit anfreunden; den Blick vom Warum zum Wozu wenden; in der Gegenwart ankommen. Und: „Ich muss nicht alle Krisen meistern!“

Sehet die vierte Kerze brennt. So wird am Sonntag vor Weihnachten in Kirchen gesungen und in Familien. Die Kerze brennt. Das Licht verdrängt die Dunkelheit. Spirituelle Menschen verstehen das auch sinnbildlich: Menschen dürfen mit Zuversicht durchs Leben gehen, trotz allem. Zuversicht und Hoffnung zu haben, gehört zu den Eigenschaften, die den Menschen zum Menschen machen.

Sehet die vierte Kerze brennt. Sehet. Man muss es eben schon auch sehen, das Licht. Manchmal mag es notwendig sein, den Blickwinkel zu verändern. Manchmal reicht, die Augen zu öffnen.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2021)

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