Der ökonomische Blick

2021: Ein Krisenjahr mit Strukturwandel-Folgen

Mutter mit Kind im Home Office
Mutter mit Kind im Home OfficeGetty Images
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Die Pandemie hatte Österreich auch im Vorjahr im Griff. Zugleich war die wirtschaftliche Erholung mächtig. Was wir daraus über langfristige wirtschaftliche Herausforderungen lernen können.

Für die meisten Menschen in Österreich wird 2021 als ein Jahr enttäuschter Erwartungen in Erinnerung bleiben. Mit der Impfung wollten wir zum letzten Jahreswechsel Pandemie, Rezession und ständigen gesellschaftlichen Streit um die verhängten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hinter uns lassen. Nun ja. Angesichts der verschiedenen Rückschläge in der Pandemiebekämpfung, sieht die Bilanz aber nicht so schlecht aus, wie sie sich anfühlt, kurz nach einem durchgestandenen Lockdown und mit der nächsten Welle vor Augen.

Die wirtschaftliche Erholung im letzten Jahr war mächtig, so mächtig, dass sie zu Engpässen bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vor- und Zwischenprodukten führte, Arbeitskräftemangel hervortreten ließ und sogar die Inflation wiederbelebte. Die sehr lockere Geldpolitik aller großen Zentralbanken und die riesigen Konjunkturpakete haben in ihrer Kombination die EU innerhalb kürzester Zeit aus dem starken Einbruch herausgeführt. Das hatte sicher auch mit der Art des Einbruchs zu tun. Die Rezession resultierte nicht aus einer Nachfragelücke, sondern aus unterbundenen oder erschwerten Kontakten von Anbietern und Nachfragern. Diese konnten schnell wiederhergestellt werden - von einigen Schwierigkeiten in der Logistikbranche einmal abgesehen.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Langfristige Herausforderungen

Die starke Erholung betraf sicher nicht alle Branchen in gleichem Maß, gibt aber trotzdem einen Vorboten der Herausforderungen, vor denen wir langfristig stehen. Die Knappheit auf der Angebotsseite werden sicher nicht das Ende der Vielfalt des Angebots einläuten, machen aber deutlich, worin die zukünftigen Herausforderungen liegen.

  • Erstens, Rohstoffpreise werden aufgrund von Klima- und Umweltschutzmaßnahmen hoch genug bleiben. Das wird Innovationen in Ressourcen-schonende Verfahren und in das Recycling von Rohstoffen profitabel machen, aber auch zu Kostensteigerungen führen. Fallen die Preise doch stärker, wird der Gesetzgeber eingreifen, wie er es bereits bei den Energiepreisen tut.
  • Zweitens, wird in den Wertschöpfungsketten neben dem Preis in Zukunft wohl auch etwas stärker auf Zuverlässigkeit geachtet werden. Inwieweit der Staat in Bereichen die stark reglementiert sind dabei aktiv wird, wird sich noch zeigen. Nach den Erfahrungen aus der Pandemie erwarte ich zumindest im Gesundheitsbereich einige Initiativen, um die Abhängigkeiten von Importen aus Ländern außerhalb der EU zu verringern.
  • Drittens, wird uns der Arbeitskräftemangel noch eine Weile begleiten. Das wird sicher eine Herausforderung, ist aber für die Gesellschaft leichter zu meistern als Arbeitslosigkeit als Massenphänomen.

Die Arbeitskräfteknappheit könnte helfen drei strukturelle Herausforderungen mit größeren Erfolgsaussichten angehen zu können: die Ungleichheit, die Verbesserung der Erwerbs- und Karrierechancen von Frauen und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und die Gestaltung der Digitalisierung. Ein verstärkter Wettbewerb um Arbeitskräfte sollte wenigstens die Einkommensverteilung nicht noch weiter auseinander gehen lassen, da die Arbeitskräfteknappheit alle Qualifikationsniveaus betrifft. Philipp Heimberger hat gerade in einem Gastkommentar im Handelsblatt auf den Einfluss der Verteilung auf verschiedene makroökonomische Variablen hingewiesen. Die Arbeitskräfteknappheit wird die ungleiche Verteilung in den Einkommen nicht beseitigen, aber doch ihre „Korrektur“ erleichtern. In Zeiten großer Knappheit auf dem Arbeitsmarkt sind Frauen immer herangezogen worden, selbst zu Arbeiten in „Männerberufen“. Alle Initiativen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die ja zum Großteil auf Frauen abzielen, werden durch kreative, individuelle Lösungen auf verschiedenen Ebenen Unterstützung erfahren. Ähnlich wird es mit der Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer und -nehmerinnen sein.

Potential der Digitalisierung

Die Digitalisierung hat spätestens mit der Studie von Frey und Osborne aus dem Jahr 2013 unter dem Verdacht gestanden, Millionen von Arbeitsplätzen das Ende zu bringen. Aus dieser Perspektive ist sie lange diskutiert worden. Spätestens seit dem schnellen Wechsel ins Home-Office, Home-Schooling, zu Online-Konferenzen und Online-Shopping im Frühjahr 2020 wird das Potential der Digitalisierung für die Beschäftigung in entlegeneren Gebieten und für Arbeitskräfte mit individuelleren Bedürfnissen deutlicher herausgestellt. Natürlich wurden bei dieser Umstellung auch all die Schwierigkeiten und Defizite deutlich, die es noch zu überwinden gilt. Aber zu einem Anfang hat uns die Pandemie gezwungen. Die Digitalisierung kann die Knappheit an Arbeitskräften mildern, besonders in Gebieten, die sich schwer tun, spezifisch ausgebildete Arbeitskräfte anzuziehen. Dafür waren die Lockdown-Phasen vielleicht die „optimale“ Initialzündung.

Erst aber werden wir durch die nächste Welle kommen müssen und realistischere Ziele im Umgang mit der Pandemie formulieren als „… wie früher“, um zum nächsten Jahreswechsel nicht wieder von einem für viele als „Jahr der Enttäuschung“ in Erinnerung bleibenden Jahr schreiben und lesen zu müssen.

Der Autor

Jörn Kleinert ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Graz. Er arbeitet dort besonders an Themen der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen.​

Links:

https://www.handelsblatt.com/meinung/homo-oeconomicus/gastkommentar-homo-oeconomicus-oekonomen-unterschaetzen-systematisch-das-problem-der-ungleichheit/27903022.html?ticket=ST-9463623-StXGnVDJWx6PQ3YPcd5H-cas01.example.org

https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf

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