Leitartikel

Die Atomkraft spaltet Österreich vom europäischen Kern ab

FILE PHOTO: Steam billows from the cooling towers of the Temelin nuclear power plant near the South Bohemian town of Tyn nad Vltavou
FILE PHOTO: Steam billows from the cooling towers of the Temelin nuclear power plant near the South Bohemian town of Tyn nad VltavouREUTERS
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Jedes EU-Mitglied kann seinen Strommix frei wählen. Die Abkehr von diesem Prinzip wäre für die heimische Biodiversität nicht unbedingt von Vorteil.

Es gibt kein Thema, das in Österreich derart unumstritten ist wie die Atomenergie. Die Front der Ablehnung ist hierzulande breit und dicht geschlossen, selbst die immerwährende Neutralität, eine tragende Säule des österreichischen Selbstverständnisses, wird öfter hinterfragt als das kategorische Nein zur Kernspaltung. Die Frage, ob es die langen Schatten von Zwentendorf und Tschernobyl sind oder andere, tiefer liegende Gründe, die diesen antiatomaren Abwehrreflex auslösen, würde bloß Historiker und Soziologen beschäftigen – wäre da nicht die EU-Mitgliedschaft Österreichs, die die Angelegenheit zum Politikum macht. Durch den gestrigen Beschluss der EU-Kommission, Kernkraft als nachhaltige Brückentechnologie auf dem Weg zu einem ökologisch verträglichen Wirtschaftssystem zu klassifizieren, wird nämlich offensichtlich, dass es einen Graben gibt, der Österreich vom europäischen Mainstream trennt.

Derartige Gräben in einer Union mit 27 Mitgliedern sind logisch, unausweichlich – und per se nicht abzulehnen. Denn schließlich sind es die regional kultivierten Eigenheiten, die Europa so einzigartig und so lebenswert machen. Problematisch wird die Sache nur, wenn diese Eigenheiten auf die (hierzulande durchaus verbreitete) Kränkung treffen, dass alle anderen nicht so denken wie man selbst.
Im Fall der besagten Taxonomie-Vorschriften hat diese Kombination zu einer österreichischen Klagsdrohung vor dem EuGH geführt – einer Drohung mit geringen Aussichten auf Erfolg. Man könnte diese Widerstandsfront, die Österreich mit dem zwischen französischen, deutschen und belgischen Reaktoren eingezwängten Luxemburg geschmiedet hat, als Performance-Politik abtun und zur Tagesordnung übergehen. Man kann sie aber auch als Anlass für eine genauere Betrachtung der Energiepolitik im Allgemeinen und der Atomenergie im Speziellen sehen.

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