Lokalkritik

Testessen in der Augenweide

Colin Michel
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Reizüberflutung am Donaukanal: Die Augenweide hat von allem viel – und dazu noch Steaks, Sushi und Pasta.

Schon beim Betreten des Lokals dröhnt es in den Augen. Wo sind die Augopax, wenn man sie braucht? An den Wänden der Augenweide, eines neuen Langstreckenlokals am Donaukanal, sprüchelt es, dass es eine Freude ist („Genieße regional, denke global“ – passend zum Thunfisch oder dem Rind aus Neuseeland). Das pinke Geleuchte reicht bis ans andere Ufer des Kanals, wo das Motto am Fluss selbstbewusst auf den Längenvergleich mit dem Neuen drüben im zweiten Bezirk wartet.

Von der Decke baumeln tonnenweise Plastikgebüsch, Fischerkörbe, Wärmelampen aus dem Hühnerbatteriebedarf und, aha, Fahrräder, womöglich hat sich die Dekoabteilung auf dem Grund des Donaukanals bedient. An der Bar kann man sich, lustig, an einem Schwimmbeckeneinstieg festhalten oder in einem Retrobarbiersessel Platz nehmen. Erst bei den raststättenartigen Toiletten dürfte endgültig das Geld ausgegangen sein.

Überbordend

Die Augenweide von Philipp Pracser, dem auch die (Groß-)Lokale Blumenwiese am Donaukanal, Allee im Grünen Prater und Stadtallee auf der Mariahilfer Straße gehören, hat sich im Georg-Emmerling-Hof an der Marienbrücke angesiedelt, also dort, wo Wien Moskau ist. Das Restaurant belegt die gesamte Schneidezahnfront und die rechte Backenzahnreihe dieses ausladenden Nachkriegswohnbaus, man zählt ganze fünf Eingangstüren. Die Speise- und Getränkekarte, als Pad serviert, ist ähnlich überbordend wie das Interieur – wenn man endlich einen Blick hineinwerfen kann, nach Entsperrcode-Eintippen, langer Erklärung durch den freundlichen Kellner und Herumgeklicke. Irgendwo taucht kurz ein Sake-Kapitel auf, ward aber nie wieder gesehen.

Sushi, Pasta und Steaks sind die drei Standbeine der Augenweide, auf Burger und Cheesecake mit Beeren wird hier auch nicht verzichtet. In einem einsehbaren Reifekasten lagert das Fleisch für die Steaks (die es später einmal schon zum Frühstück geben soll). Vom 120-g-Kindersteak bis zum zehnmal so schweren Tomahawk ist alles Mögliche zu haben, dazu gibt es altbekannte Beilagen, natürlich auch mit Trüffelöl, und Saucen.

Colin Michel

Die Pastavarianten, etwa hausgemachte Ravioli mit Garnelen, Safran und Salbeibutter oder Cannelloni, sind von solider Bauweise. Roher Fisch wird handwerklich gekonnt behandelt und neben Sushi und Sashimi unter anderem zu peruanischem Tiradito aufgeschnitten. Der hiesigen Sauce zu Letzterem fehlt aber die aromatische Finesse guter Nikkeiküchen-Adressen. 
Der Service muss sportlich sein: Allein die ohne Hintergedanken geäußerte Frage, was denn das als Gelee angekündigte Tosazu sei (eine Sauce), bedeutet für den Kellner zig Meter Richtung Sushi-Bar.

Augenweide

Obere Donaustraße 97–99, 1020 Wien, Tel.: +43/(0)1/366 02 02, Restaurant: Di–Sa: 16–22 Uhr.

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