Emily Ratajkowski ist erfolgreiches Model, Aktivistin,  Schauspielerin und Autorin.
Körperpolitik

Emily Ratajkowski und der weibliche Körper

Emily Ratajkowskis Buch „My Body“ zeigt, dass über den weiblichen Körper auch heute noch Politik ausgetragen wird.

Es war einer jener Popsongs, der zumeist unfreiwilligen Hörerinnen und Hörern für ein paar Wochen über jedes Auto- und Supermarktradio entgegenplärrte, nur um genauso schnell wieder aus dem kollektiven Gedächtnis zu verschwinden. Geblieben ist in diesem Fall jedoch der Nachhall einer Kontroverse und eine Statistin, die den eigentlichen Interpreten des Liedes in den Schatten stellte. „Blurred Lines“ von Robin Thicke (featuring TI und Pharrell) war 2013 der Ausgangspunkt für Emily Ratajkowskis Karriere. Kontrovers diskutiert wurde das Video, weil drei Frauen mit naturfarbenen Slips und absurden Accessoires von Ziegen bis Bürsten um drei vollständig angezogene Männer zu Liedzeilen wie „I know you want it“ tänzelten.

Was viele als Objektifizierung und Sexismus kritisierten, bezeichnete Ratajkowski selbst damals in Interviews noch als feministisch. Sie fühle sich nackt wohl, sie könne ihren Körper zeigen, wie sie wolle, das sei für sie Ermächtigung, Selbstbestimmung, Feminismus. „Anders als Feministinnen und Antifeministinnen uns glauben machen wollten, bestand das Problem für mich nicht darin, dass junge Frauen sich selbst sexualisierten, sondern darin, dass sie sich dafür schämen sollten“ (Übers. der Redaktion, Anm.), schreibt sie in der Einleitung zu ihrem Buch „The Body“, das im Februar auf Deutsch erscheint. Sie hatte früh gelernt, ihren Körper zu kommodifizieren und sich dadurch ein Gefühl von Kontrolle zu verschaffen: „Alle Frauen werden zu einem gewissen Grad objektifiziert und sexualisiert, ich dachte, ich könnte das genauso gut zu meinen eigenen Bedingungen geschehen lassen.“

Selbstermächtigt

Dem Musikvideo folgten Rollen in David Finchers „Gone Girl“, der Serie „Entourage“ und dem Film „I Feel Pretty“ an der Seite von Amy Schumer sowie Laufstegauftritte für Versace oder Dolce & Gabbana. Über Nacht war die in London geborene US-Amerikanerin zu einem Sexsymbol ihrer Generation geworden. Gleichzeitig positionierte sich Ratajkowski von Anfang an als feministische Aktivistin und ihre Essays, die sie etwa in Lena Dunhams Newsletter oder im „New York Magazine“ veröffentlichte — die meistgelesene Geschichte des Magazins 2020 —, wurden innerhalb eines feministischen Diskurses breit kommentiert und kritisiert.

In ihrem prominentesten Essay beschreibt sie etwa, wie Künstler Richard Prince einen ihrer frühesten Instagram-Posts, ein Foto von ihr aus dem Magazin „Sports Illustrated“, auf Überlebensgröße aufgeblasen, mit eigenen Kommentaren versehen und so ungefragt in seiner Galerie um knapp 72.000 Euro feilgeboten hat. Ratajkowski beschließt, das Bild — und somit die Kontrolle darüber — selbst zu erstehen. Später wird sie sich in ihrer Wohnung vor das Kunstwerk stellen, davor posieren, ein Foto schießen und davon ein NFT (Nonfungible Token), also eine Art digitales Echtheitszertifikat, erstellen und dieses um über 120.000 Euro über das Auktionshaus Christie’s versteigern lassen.

Es sind Episoden wie diese, die ihren fortwährenden Kampf um Kontrolle über ihren eigenen Körper widerspiegeln. Auch ihre Essaysammlung „My Body“ ist der Versuch, den Diskurs um ihre Person mitzubestimmen. Schon in der Einleitung emanzipiert sie sich von ihren früheren Anschauungen zu Feminismus, erkennt die Limitation ihrer Rolle als Sexobjekt und hinterfragt die Macht, die ihr durch die Positionierung wirklich zugestanden wird. „Ich habe meinen Körper in einer cisheterosexuellen, kapitalistischen, patriarchalen Welt zu Geld gemacht, in der Schönheit und Sex-Appeal auschließlich durch die Befriedigung des männlichen Blickes ihren Wert erhalten.“ In einem der Essays beschreibt sie das Shooting zu „Blurred Lines“ und bezichtigt Robin Thicke der sexuellen Belästigung. Was wäre passiert, hätte sie das Shooting abgebrochen? „Anfang 20 war ich nie auf die Idee gekommen, dass Frauen, die ihre Macht über Schönheit erlangten, den Männern etwas schuldig blieben, deren Verlangen ihnen überhaupt erst ihre Macht verlieh.“

Ganz schön utopisch

Reflektiert und aufrichtig setzt Ratajkowski sich mit männlichen Reaktionen auf ihren Körper und ihrer eigenen Komplizenschaft an einer patriarchal struktierten Branche auseinander, ohne jedoch vollends die Verantwortung für ihre Rolle zu übernehmen oder über den Tellerrand ihrer eigenen Erfahrungen hinauszuspähen.

Trotzdem ist das Spannungsfeld, das sie beschreibt, ein zentrales Motiv der popfeministischen Bewegung, und ihre Essays sind ein viel beachteter Beitrag. Denn seit den Anfängen feministischer Diskurse bleibt der Schauplatz, auf dem sie ausgetragen werden, gleich: der weibliche und queere Körper. War die Utopie einiger Feministen und Feministinnen früherer Generation die Verlagerung des Diskurses auf eine institutionelle Ebene, scheint dieses Ziel in der Ära von Instagram und TikTok, in der ein Fitnesstrend den nächsten jagt und immer mehr Teile des weiblichen Körpers von der Schönheitsindustrie als mögliche Baustelle belagert werden, unerreichbar.

Selbst populärfeministische Social-Media-Bewegungen wie die Forderung nach „Body Positivity“ machen Optik zum Zentrum ihrer Bemühungen. Was als radikaler Ansatz aus der Fat-Liberation-Bewegung der 1960er und 1970er-Jahre in den USA entstanden ist, wird mittlerweile von kritischen Stimmen als verwässert und zahnlos wahrgenommen. Zum einen werde eine Bewegung, die marginalisierten – etwa dicken, Schwarzen, behaarten, behinderten, transsexuellen Körpern eine Plattform bieten wollte, mittlerweile zunehmend von weißen, fitten, jungen Frauen und Unternehmen vereinnahmt. Gleichzeitig wälzt das „Liebe dich selbst“-Dogma der Bewegung die Verantwortung auf das Individuum ab und lässt sich so auch leicht mit neoliberalen Ideologien verknüpfen.

 Magdalena Heinzl ist  Sexologin und  Body-Positivity Aktivistin.
Magdalena Heinzl ist Sexologin und Body-Positivity Aktivistin.beigestellt

„Als Sexologin sehe ich es trotzdem als positiv an, sich mit seinem Körper zu beschäftigen“, sagt die Sexualtherapeutin, Bloggerin und Body-Positivity-Aktivistin Magdalena Heinzl. Es gehe in erster Linie nicht darum, wie man aussieht, aber dass man sich selbst spürt. Für sie war es ein Akt der Ermächtigung, ihren Körper in Social Media zu zeigen. „Das bedeutet nicht, dass ich mich auf mein Aussehen reduziere, aber man darf sich auch einmal schön finden und das mit anderen teilen. Eitelkeit ist nichts, wofür man sich schämen muss“, sagt Heinzl.

Die Wahrnehmungsmaschine

„Solange wir in einer ,lookistischen‘ Gesellschaft leben, ist es wichtig, sich mit Schönheitsidealen auseinanderzusetzen“, sagt Elisabeth Lechner, die das Thema in ihrem Buch „Riot, Don’t Diet“ behandelt. „Lookismus“ soll heißen, dass als attraktiv wahrgenommene Menschen in unserer Gesellschaft laut Studien begünstigt werden, etwa leichter einen Job finden, mehr verdienen und bei der Wohnungssuche erfolgreicher sind. Body Positivity arbeite daran, den Schönheitsbegriff zu erweitern, um marginalisierte Körper zu schützen. Erreiche der Trend breitenwirksame Formate, werde etwa Heidi Klums Modelnachwuchs diverser, verändere das auch unsere Sehgewohnheiten.

 Elisabeth Lechner ist Autorin des  Buches „Riot, Don’t Diet!“.
Elisabeth Lechner ist Autorin des Buches „Riot, Don’t Diet!“.(c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)

Gleichzeitig argumentiert Lechner für mehr „Body Neutrality“, also eine Art Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Aussehen. „Ein Körper ist so viel mehr als eine Spiegelreflexion. Er ist eine Wahrnehmungsmaschine, über die wir unsere Welt erfahren, mit anderen Leuten in Kontakt kommen und uns fortbewegen können“, sagt Lechner. Damit wolle sie Schönheitsarbeit nicht verteufeln, immerhin bedeute es Selbstfürsorge und Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, sich die Nägel zu lackieren, die Haare zu machen, sich schön anzuziehen. „Ich will nur gleich ernst genommen werden, egal wie ich aussehe. Mein Wert soll durch meine Attraktivität nicht sinken oder fallen“, sagt Lechner. Feminismen müssten sowieso parallel auf mehreren Ebenen stattfinden: Schönheitsbegriffe könnten hinterfragt, zugleich institutionalisierte Sexismen kritisiert werden, man könne breitenwirksam auf einer Front und radikal auf einer anderen arbeiten. An der Utopie, dass der weibliche Körper zukünftig nicht mehr fremdbestimmt würde, halte sie weiterhin fest.

In einem ihrer Essays besucht Emily Ratajkowski ein Spa in Koreatown, Los Angeles. Badeanzüge sind verboten, ebenso Handys und Männer. Unausgesprochen hat man sich darauf geeinigt, sich gegenseitig nicht zu beobachten. Es gibt keinen Anlass zu performen, die Mitarbeiterinnen des Spa behandeln alle Gäste gleich und haben schon so viele Körper gesehen, dass sie verschwimmen. Es ist der Ort, an dem sie Ruhe findet.

„MY BODY“. In ihrer Essaysammlung setzt sich Emily Ratajkowski mit ihrer eigenen Körperlichkeit auseinander; übersetzt von Stephanie Singh, erscheint sie am 28. Februar.
„MY BODY“. In ihrer Essaysammlung setzt sich Emily Ratajkowski mit ihrer eigenen Körperlichkeit auseinander; übersetzt von Stephanie Singh, erscheint sie am 28. Februar.beigestellt

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