Ukraine-Krise

Kanzler Nehammer: "Österreich wird sich nicht hinter seiner Neutralität verstecken"

Der Bundeskanzler am Donnerstag im Nationalrat. Bis April sei genügend Gas vorhanden, um den Energiebedarf in Österreich zu decken, versichert er.
Der Bundeskanzler am Donnerstag im Nationalrat. Bis April sei genügend Gas vorhanden, um den Energiebedarf in Österreich zu decken, versichert er.APA/ROLAND SCHLAGER
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„Neutralität heißt ganz sicher nicht, sich zurückzulehnen und jeden Bruch des Völkerrechts hinzunehmen“, verurteilt Österreichs Regierung am Donnerstag die Invasion in die Ukraine. Alle noch dort verbleibenden Österreicher werden aufgerufen, das Land zu verlassen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Donnerstagvormittag mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij telefoniert. Vom Gespräch berichtete er vor dem Parlament im Anschluss an eine Sitzung des Krisenkabinetts. Die Situation in der Ukraine sei "höchst dramatisch", die Menschen würden um ihr Überleben kämpfen, soll Selenskij ihm geschildert haben. Er wisse nicht, wie lange es sein Land noch gebe und wie lange er noch leben werde, soll er am Telefon gesagt haben. Er habe berichtet, dass auch zivile Infrastruktur angegriffen werde, viele Menschenleben schon ausgelöscht seien - und er habe ersucht, der Ukraine beizustehen, mit militärischer und humanitärer Hilfe. Auch Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), der derzeit den Vorsitz der Landeshauptleutekonferenz innehat, erklärte die Bereitschaft der Bundesländer, Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen.

Russland hat in der Nacht auf Donnerstag Raketenangriffe auf militärische Ziele in der ganzen Ukraine begonnen. Nehammer sprach in einer Erklärung im Nationalrat und davor schon im Ö1-"Morgenjournal“ von einem „klaren Bruch des Völkerrechts“. Es handle sich dabei um eine breitflächige Invasion in die Ukraine: „Es wurde uns von Militärexperten bestätigt, dass es sowohl von Norden, Süden, als auch von Osten Militärbewegung vonseiten der Russischen Föderation in die Ukraine gibt.“ Damit verbunden Artilleriefeuer und Explosionen, die im Land und auch in der Hauptstadt Kiew wahrgenommen würden.

Wir seien mit dem Faktum konfrontiert, dass in Europa wieder Krieg herrsche - „etwas, dass sich niemand gewünscht hat", so Nehammer im Parlament. Russland wähle nun einen Weg, "den wir zutiefst ablehnen". Denn in Österreich gelte der Grundsatz: "Es gilt die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren." Das Völkerrecht sei das Fundament in der Gründung der Zweiten Republik, sagte Nehammer. Es sei bedauerlich, dass man nicht aus der Geschichte gelernt habe und Konflikte auf dem Verhandlungstisch löse. "Im Krieg gibt es immer nur Verlierer. Die ersten, die verlieren, sind immer die Schwachen." Krieg lasse sich nicht rechtfertigen, indem man versuche, die eigenen politischen Interessen durchzusetzen. "Die österreichische Neutralität war immer eine militärische. Wir haben es nie so verstanden, dass wir uns dahinter verstecken."

Kogler: „Neutralität heißt nicht, einem Aggressionskrieg tatenlos zuzusehen"

Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ging in seiner Rede im Nationalrat auf Österreichs Neutralität ein. Zuzusehen, „wie eine militärische Großmacht den Nachbarn überfällt“, gehöre nicht dazu. "Neutralität kann nicht bedeuten, einem Aggressionskrieg tatenlos zuzusehen. Nein, Neutralität heißt ganz sicher nicht, sich zurückzulehnen und jeden Bruch des Völkerrechts hinzunehmen."

„Auf europäischer Ebene werden heute schon wieder gemeinsam mit anderen Partnern weitere Schritte gesetzt“, kündigt er an. Es seien „massive“ Maßnahmen der Politik, der Diplomatie, der Sanktionen, die die EU ergreifen werde, und die Österreich mittragen werde. Vor allem seien es Wirtschaftssanktionen, kündigt der Vizekanzler an, „die massiv sein werden.“

Auch wenn dies Auswirkungen auf Österreichs Energieversorgung haben könnte, denn Österreich „braucht russisches Gas“, wie Kanzler Nehammer zuvor betonte. „Ob das für die Zukunft so schlau ist, kann man jetzt tatsächlich hinterfragen“, räumte er ein. Aber zunächst müsse die EU nun sicherstellen, dass Österreich auf alternative Lieferungen zurückgreifen könne. Jedenfalls sei „die Versorgungssicherheit bis in den April hinein" garantiert, versicherte er, sollte Russland die Erdgaslieferung beenden. „Selbst bei Nulllieferung“ sei bis über den Winter genug Gas vorhanden, um den Energiebedarf in Österreich zu decken.

Österreich bereit, Flüchtlinge aufzunehmen

Auf der anderen Seite gelte es, weiterhin – und abgestimmt mit der Europäischen Union - Brücken offen zu lassen, betonte Vizekanzler Kogler. Außerdem müsse weiterhin humanitäre Hilfe im Land geleistet werden. Gestern sei im Ministerrat wieder ein Millionenpaket verabschiedet worden, „das müssen wir auch weiter aufrechterhalten“. Zudem betont er: „Die Ukraine ist ein Nachbarland.“ Dies bedeute, dass Vertriebene und Flüchtlinge entweder auf direktem Wege oder auf indirektem Wege nach Österreich kommen werden. „Wir werden uns hier als guter und solidarischer Nachbar erweisen.“

Bundeskanzler Nehammer hatte zuvor im Ö1-Radio erneut an die noch verbleibenden Österreicherinnen und Österreicher appelliert, die Ukraine zu verlassen. Auf den Aufruf von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) vor rund zwei Wochen hätten sich bereits 150 Menschen gemeldet, mit denen man nun in Verbindung sei. „Das Krisenteam steht bereit, alle, die es wollen, tatsächlich dabei zu unterstützen, das Land zu verlassen“. Es sei dies seine Empfehlung, das auch zu tun. „Die Botschaft wird alles dafür notwendige unternehmen, damit dies auch gelingt“, so der Kanzler.

>>> Kanzler Nehammer im Ö1-"Morgenjournal"

(Red.)

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