Droht dem Rubel und der russischen Wirtschaft nun der Verfall?

  • Drucken

Höhere Zinsen, Kapitalverkehrskontrollen, Verkauf von Devisen: In Russland haben Notenbank und Finanzministerium harte Maßnahmen gesetzt, um den Verfall des Rubel aufzuhalten. Aber reichen die Schritte aus?

Der Rubel rollt, und zwar talwärts. Am Montag gab die russische Währung um rund 20 Prozent nach. Denn: Am Wochenende haben die EU und andere Industriestaaten angesichts der russischen Invasion in der Ukraine scharfe Wirtschaftssanktionen gegen Russland angekündigt. Mit Wirkung. Am Montag bildeten sich vor russischen Bankomaten teilweise lange Menschenschlangen. Die Moskauer Börse blieb geschlossen. Ein großer Teil der Fremdwährungsreserven der russischen Notenbank – manche sagen: von Präsident Wladimir Putins Kriegskasse – wurde eingefroren. Russische Banken werden aus dem Zahlungssystem Swift ausgeschlossen. Russlands Notenbank nannte die Sanktionen „hart“. Sind sie so hart, dass ein Verfall von Rubel und russischer Wirtschaft droht?

Bricht der Handel ein?

Eine Abwertung ist gut für den Export und schlecht für den Import. Das gilt zumindest in normalen Zeiten. Wenn ein Euro – wie am Montagnachmittag – fast 111 Rubel wert ist, können sich Europäer für dasselbe Geld mehr russische Waren leisten als wenn – wie vor Ausbruch des Kriegs – ein Euro rund 89 Rubel wert ist. Für russische Importeure gilt: Sie können sich bei einer abgeschwächten Währung weniger ausländische Güter leisten. Aber: „Was wir sehen, sind keine normalen Zeiten“, erklärt Thomas Url vom Wifo. Die Sanktionen, die auf dem Rubel lasten, schließen Russland in vielen Sektoren vom Außenhandel aus.

Selbst der Handel mit Staaten wie China, die sich nicht an den Sanktionen beteiligen, wird mit dem Swift-Ausschluss für Russland teurer – wenngleich nicht unmöglich. Experten der Großbank JP Morgan erwarten jedenfalls, dass die russische Wirtschaft im zweiten Quartal um ein Fünftel einbrechen dürfte, sollten alle angekündigten Sanktionen umgesetzt werden.

Droht eine Finanzkrise?

Auch Vasily Astrov vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) rechnet heuer mit einer Rezession in Russland. Auch deshalb, weil die russische Notenbank als Reaktion auf einen möglichen Rubel-Verfall den Leitzins von 9,5 Prozent auf 20 Prozent verdoppelt hat. „Die hohen Zinssätze werden die Kreditnachfrage abwürgen“, sagt Astrov. Und sie dürfte den Immobilienmarkt in Russland empfindlich treffen. Nicht nur nahm die Nachfrage nach Konsumkrediten zuletzt zu, auch Hypotheken waren sehr gefragt. Dazu kommt noch, dass die Rubel-Abwertung die Inflation antreibt und die Kaufkraft der Menschen in Russland schwächt. Das wiederum kann die Inlandsnachfrage schwächen und ebenfalls das Wachstum bremsen.

Die Frage ist, wie es mit dem Rubel jetzt weitergeht. Experten trauen sich keine Prognose zu, zu unsicher ist die Lage. Die Inflationsrate dürfte heuer über zehn Prozent liegen. Dauert der Krieg lang und bleibt Russland wirtschaftlich isoliert, ist auch möglich, dass es in Russland zur Hyperinflation kommt – weil die Notenbank den Staatsapparat finanzieren müsste. Aber darauf deutet derzeit nichts. Astrov rechnet jedenfalls nicht mit einer Finanzkrise. Eine Abwertung des Rubel von 20 Prozent bedeute noch keine Finanzkrise, und die Notenbank werde eher nicht die Notenpresse anwerfen und die Inflation anheizen. Außerdem: Eine Abwertung des Rubel um bis zu 40 Prozent wäre verkraftbar, sagt Astrov. Mit Ende 2021 waren nur 16 Prozent aller Kredite in Russland in einer ausländischen Währung denominiert.

Russlands Notenbank sei in ihrer Geldpolitik sehr „mainstream, liberal, vorsichtig, stabilitätsorientiert“, wie der Ökonom erklärt. Die Währungshüter haben als Reaktion auf die Sanktionen die Zinsen erhöht.

Das russische Finanzministerium hat zudem Unternehmen angewiesen, 80 Prozent ihrer Devisen zu verkaufen, und Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Ausländer können ihr Kapital nicht mehr aus Russland abziehen. „Die aktuelle Zinsanhebung in Russland sollte wegen der Sanktionen wenig Einfluss auf internationale Transaktionen haben, während die Aktivitäten nicht sanktionierter russischer Unternehmen durchaus den Wechselkurs bewegen können“, sagt Wifo-Ökonom Url.

Womit müssen Betriebe rechnen?

In einer schwierigen Situation finden sich auch europäische Unternehmen wieder, die in Russland tätig sind. Sie stehen unter anderem vor buchhalterischen Herausforderungen, wie Url erklärt: „Sind Beteiligungen oder etwa Immobilienbesitz in Rubel notiert oder in einer anderen Währung? Müssen sie abgeschrieben werden oder nicht? Die Unternehmen müssen sich fragen, welche Geschäfte in Osteuropa ohne Finanztransaktion zwischen Russland und Europa noch durchführbar sind.“

Für Private, die zum Beispiel Immobilienbesitz in Russland haben, stellen sich ähnliche Fragen. Wurde die Immobilie in Rubel erworben und gehandelt? Wenn ja, dann bedeutet ein schwächerer Rubel freilich einen Verlust an Vermögen. Ein laut Experten vergleichsweise kleineres Problem sind Rubel-Konten in Europa. Nachdem der Rubel bereits seit der Krim-Annexion 2014 deutlich an Wert verloren hat, sei er keine attraktive Währung für Fremdwährungskonten.

Was wird Russland weiter tun?

Notenbank und Regierung in Moskau versichern seit Tagen, auf alle Szenarien vorbereitet zu sein. Aber der Rubel wird vermutlich weiter abwerten, glauben Experten. Denn schon allein die Möglichkeit eines Rubel-Verfalls dürfte viele Menschen dazu bringen, ihr Geld in andere Währungen zu konvertieren. Am Montag bildeten sich überall in Russland teilweise lange Schlangen vor Bankomaten.

Entscheidend ist freilich, wie sich Krieg und Sanktionen weiter entwickeln. Das gilt sowohl für etwaige Schritte der Notenbank als auch für Maßnahmen vonseiten der russischen Regierung. Eine laut Experte Astrov in näherer Zukunft mögliche Maßnahme ist, dass Russland ausländische Anteile an russischen Firmen verstaatlicht.

Wer spürt den Rubel-Verfall noch?

Ein schwacher Rubel tut vielen Familien in Ländern wie Kirgisistan oder Armenien weh. In diese Länder fließen besonders viele Rücksendungen aus Russland, die sind bei einem Kaufkraftverlust des Rubel weniger wert. Überhaupt betrifft der Rubel-Verfall Gastarbeiter aus ehemaligen Sowjet-Republiken in Zentralasien – oder anderen vergleichsweise armen Ländern –, die in Russland ihr Geld verdienen und teilweise anderswo ausgeben. Einige Nachbarländer Russlands dürften ihre Währung abwerten.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.