Etwas darstellen heißt, sich zu weigern, etwas anderes darzustellen: Malewitschs „Schwarzes Quadrat“, 1915.
Kunst

Im Bombenhagel ist jede Kunst politisch

Es ist banal, davon zu reden, dass die Kunst schweigt, wenn die Waffen sprechen. Das Gegenteil ist der Fall. Jedes Aktivsein ist momentan Kunst. Vielleicht sollten wir unsere Vorstellung von Kunst ganz grundlegend überdenken.

Am 13. März wurde ein junger Mann, Dmitri Resnikow, in Moskau bei einer Anti-Kriegs-Demonstration verhaftet, vor Gericht gestellt und zu einer Geldstrafe von 50.000 Rubel verurteilt – nach der katastrophalen Inflation aktuell 430 Euro. Das Plakat, das er bei seiner Verhaftung hochhielt, enthielt keine Statements, keine Worte, nicht einmal Buchstaben (s. Abb.). Es enthielt acht Sternchen, aufgeteilt in zwei Zeilen: drei in der ersten und fünf in der zweiten. Für jeden russisch sprechenden Menschen war im aktuellen Kontext klar, dass der unsichtbare Text „NET WOJNE“ – „Nein zum Krieg“ – lautete. In Zeiten wie unseren schrumpft das Lexikon, und man versteht einander auch ohne viele Worte.

Soweit ich weiß, ist Dmitri Resnikow kein Künstler. Dennoch: Das Stück Papier, das er in der Hand hielt, sah sehr nach einem Konzeptkunstwerk aus. Kürzlich sahen wir, wie andere Demonstrierende in Russland leere Blätter in der Hand hielten oder einfach nur still dastanden und wegen „passiven Protests“ inhaftiert wurden. Ich werde mich hier nicht mit den Gefahren für die russischen Demonstrierenden befassen, die im Vergleich zur Tortur der Ukraine immer noch sehr gering sind. Ich möchte das Ganze aus einer künstlerischen Perspektive betrachten, so schwer es heute auch ist.

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