Internationale Presse zu Nitsch: "Der umstrittene Künstler"

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In Österreich war der Künstler längst nicht mehr umstritten, in Italien offenbar schon. Vom „besessenen Erlöserkünstler“ zum „publikumsfreundliches Monster“.

In Österreich trauert man mit würdigen Worten um den am Ostermontag verstorbene Jahrhundertkünstler Hermann Nitsch, im Ausland nicht immer. Thema war er aber jedenfalls: Vor allem in deutschen und italienischen Zeitungen ist der Tod des Malers und Aktionskünstlers Hermann Nitsch Thema gewesen. Im Folgenden einige Auszüge aus Nachrufen:

"Süddeutsche Zeitung" (München): "Menschen, die unbedingt
provozieren wollen, sind häufig die größten Moralisten. Wenn also
Hermann Nitsch, ein Marathon-Provokateur vor dem Herrn, über 60
Jahre scheinreligiöse Blutorgien veranstaltete, und dafür bis heute
der Blasphemie und der Grausamkeit beschuldigt wird, dann ist das
für alle weniger empfindlichen Menschen ein klarer Hinweis: Hier
waltet priesterlicher Aufrüttelungswille mit dem Ziel des besseren
Menschen. (...) Sein anregender Einfluss verbreitet sich vorbildhaft
für alle Künstlerinnen und Künstler, die Grenzen überschreiten
wollen, und dabei eine moralische Idee von Leben in Einklang
verfolgen. Am Ostermontag hat der Orgienpriester des heilenden
Exzesses im Alter von 83 Jahren nun den Übergang des Todes selbst
erlebt. Das Datum könnte nicht schöner getroffen sein für einen von
der Kreuzigungsgeschichte besessenen Erlöserkünstler."

"Die Welt" (Hamburg): "Er war in der Kunst, was Marilyn Manson in
der Rockmusik ist. Anders denn als publikumsfreundliches Monster
haben wir auch Hermann Nitsch nie erlebt. Voller Weißbart, krummer
Rücken, schwarz angezogen vom Hut bis zur Socke und immer zu einer
drohenden Aktion aufgelegt, die im günstigsten Fall die Dimension
eines antiken Schlachtopfers annahm. (...) Bilder sind nicht einfach
gemacht, sie erscheinen zugleich. Und dieses Erscheinen gibt ihnen
etwas Mysteriöses. Und vielleicht hat aus dem mysteriösen Mehrwert
niemand so besessen ästhetisches Kapital geschlagen wie der
österreichische Heavy-Metal-Maler Hermann Nitsch, der bis ins hohe
Alter die Malwände mit Farbe besprengte und hinterher meist einen
etwas traurig ergebenen Eindruck machte."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Frankfurt): "Sein
internationaler Durchbruch war wohl die Einladung zum Londoner
"Destruction in Art"-Symposium 1966 - oder eher der medienwirksame
Abbruch jener Aktion durch die Polizei, worauf Ausstellungs- und
Performanceangebote aus der ganzen Welt folgten. Während aber seine
Wiener Mit-Aktionisten damals tatsächlich in existenziell
selbstquälerischen Autoperforationen ihr eigen Blut aus sich
herausholten, transformierte Nitsch den Vorgang sehr bald schon in
Malerei. (...) Andererseits nahm der österreichische Künstler
insbesondere in seinen wagnerianischen Gesamtkunstwerken der von
1971 an auf dem von ihm erworbenen Schloss Prinzendorf
veranstalteten "Orgien Mysterien Spielen" unverhohlen Bezug auf die
christliche Eucharistie, in der göttliches Opferblut zum Wegwaschen
und Tilgen der Sünden vergossen wird."

"Neue Zürcher Zeitung" (Zürich): "Bestimmend für Nitschs Konzept
des OMT, in dem auch die Sprache überwunden werden sollte, waren die
Themen Tod, Leiden und Auferstehung. Dass seine "realen
Inszenierungen" von Vertretern der Kirche verdammt wurden und immer
wieder auch Tierschützer auf den Plan riefen, lag wohl in der Natur
der Sache begründet. (...) Die Verknüpfung von realen Tierkadavern
mit religiösen Inhalten sollte dazu anregen, über Verdrängtes
nachzudenken. Doch neben der intendierten kathartischen Wirkung auf
die Betrachter hat ihm sein sogenanntes Abreaktions-Theater in
Österreich Prozesse, Gefängnisstrafen wegen Beleidigung, Blasphemie
und Erregung öffentlichen Ärgernisses eingebracht. (...) Inzwischen
sind seine Schüttbilder und die befleckten Messgewänder von den
Aktionen wertvolles Ausstellungs- und Sammlergut, und wenn man sich
den teilweise reaktionären Tonfall in alten Presseberichten vor
Augen führt, kann man die Genugtuung des Künstlers angesichts seiner
in späteren Jahren allmählich zementierten Anerkennung
nachvollziehen."

"Corriere della Sera" (Mailand): "Nitsch, der umstrittene Vater
des Wiener Aktionismus und kontroverser Experimentator mit
Installationen, die geschlachtete Tiere und nackte Menschen
vermischte, ist im Krankenhaus von Mistelbach gestorben, das ihm ein
Museum gewidmet hatte. Nitsch entwickelte das Orgien Mysterien
Theater, das eine allumfassende und brutale Erfahrung zugleich sein
wollte. Dieses Theater mit seinen Exzessen kostete Nitsch ständige
Probleme mit der Zensur, als Künstler war er mehr gehasst als
geliebt."

"La Stampa" (Turin): "Der umstrittene Künstler Hermann Nitsch ist
im Alter von 83 Jahren gestorben. Neapel war Nitschs zweite Heimat
und zwar dank des Mäzenen Giuseppe Morra, der Nitsch in einer
Ex-Fabrik ein Museum und Archiv gewidmet hat."

"Il Messaggero" (Rom): "Österreich verabschiedet sich von Nitsch,
einem 'Genie des Blutes', einem umstrittenen Künstler, der mit
seinen Installationen mit geschlachteten Tieren und nackten Menschen
für Eklat gesorgt hat. Nitsch ist zwei Tage vor der Einweihung einer
Ausstellung in Venedig zu seiner 20. Malaktion 1987 gestorben."

(APA)

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