Klima:Wandel

AMS-Chef Johannes Kopf: "Die Energiewende kann an Personalmangel scheitern"

Bis 2030 sollen zigtausende neue Solaranlagen installiert werden. Die Spezialisten dafür fehlen.
Bis 2030 sollen zigtausende neue Solaranlagen installiert werden. Die Spezialisten dafür fehlen.Getty Images
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Arbeit. Österreich fehlen zigtausend Arbeiter, um die Energiewende zu stemmen. Aber Werbung für Green Jobs reicht nicht. Wir müssen auch über die reden, die der grüne Wandel arbeitslos macht.

Wer dieser Tage eine Solaranlage oder ein neues Heizungssystem kaufen möchte, braucht viel Geduld. Der Krieg in der Ukraine hat viele Menschen zum Umdenken gebracht, selbst Skeptiker klopfen jetzt bei den Energieberatungen an und suchen nach Wegen, wie sie ihre Öl- und Gasheizungen ersetzen können. Installateure sind auf Monate ausgebucht, auch bei Fotovoltaikanlagen werden die Wartelisten immer länger.

Diese Engpässe sind erste Vorboten des grünen Jobwunders, das Politiker und Unternehmen rund um die Klimawende versprechen. Bis 2030 sollen Tausende Solaranlagen und Windräder aufgestellt werden, bis 2040 die Gebäude klimafit sein. Was fehlt, sind Menschen, die die PV-Anlagen auf die Dächer schrauben und die alten Heizungen austauschen. In Summe sollen Hunderttausende Green Jobs entstehen, so die Verheißung. Eine Garantie auf die grüne Wende samt Jobwunder gibt es nicht. Denn die Politik hat einen wichtigen Punkt bisher vernachlässigt.

Will man dem Phänomen auf den Grund gehen, jagt ein Déjà-vu das andere. Denn es ist gar nicht lang her, da stand der Boom der Umweltberufe schon einmal ganz oben auf der politischen Agenda. Im Jahr 2010 hat die Koalition den „Masterplan Green Jobs“ ausgerufen. Firmen klagten über Fachkräftemangel, der Kampf gegen den Klimawandel versprach solides Wachstum. Binnen zehn Jahren sollte die Zahl der Menschen in Österreich, die in der Umweltbranche arbeiteten, von 170.000 auf 270.000 katapultiert werden. Immerhin deckt das Land einen Gutteil der erneuerbaren Wertschöpfungskette ab. Green Jobs sollte es nicht nur im Handwerk geben, sondern auch bei den vielen heimischen Herstellern von Heizungs- und Solartechnik. Doch das große Öko-Beschäftigungsprogramm wurde zum Flop. Seit 2010 ist die Zahl der Menschen in grünen Berufen nur auf 195.000 gestiegen. Ihr Anteil an allen Erwerbstätigen blieb mit 2,7 Prozent etwa gleich.

Firmen in Alarmstimmung. Auch heute sind Unternehmen wieder in Alarmstimmung. Ihre Auftragsbücher sind voll, aber der Mangel an Arbeitern bremse die grüne Wende, warnen sie. „Der PV-Markt ist in den vergangenen zwei Jahren um jeweils 30 Prozent gestiegen und wird dies noch weiter tun. Hier wird ein großes Beschäftigungsfeld geschaffen“, sagt Vera Immitzer, Geschäftsführerin von Photovoltaic Austria. 60.000 Arbeitsplätze sollen allein in der Solarbranche entstehen. Doch die Zahlen der einzelnen Verbände seien „sehr optimistisch“, sagt Christian Kimmich vom Institut für Höhere Studien (IHS). Nicht alle Green Jobs seien tatsächlich neu, oft würden bestehende nur umetikettiert. Das Wifo erwartete sogar, dass der Übergang zur emissionsarmen Wirtschaft bis 2030 keinerlei zusätzliche Beschäftigung im Land auslösen wird.

Dennoch: „Die europäische Energiewende kann durchaus am Mangel an geeigneten Arbeitskräften scheitern“, sagt AMS-Chef Johannes Kopf zur „Presse am Sonntag“. Dass Unternehmen über zu wenig Bewerber klagen, sei zwar kein Spezifikum der Umweltbranche, doch habe der Sektor ein Spezialproblem, meint Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer: „Unsere Betriebe sind die Umsetzer der Klimawende. Was sie brauchen, sind realistische Ziele und Planungssicherheit.“ Aber trotz aller Willensbekundungen der Regierung, sei immer noch nicht in allen Feldern klar, worauf sich die Unternehmen genau einstellen sollen.

Die Liste der grünen Mangelberufe ist lang: Dachdecker, Installateure und Heizungstechniker werden ebenso gesucht wie Umweltinformatiker und Menschen, die ein Energiesystem von Grund auf neu denken können. Allein bei den Elektroinstallateuren kommen auf einen Arbeitslosen drei offene Stellen, in anderen Bereichen ist das Verhältnis ähnlich extrem.

Was kann man tun, um die Vollbremsung der Energiewende zu verhindern? Verbände bieten eigene Ausbildungen an, etwa zum Fotovoltaikpraktiker. Die Sozialpartner haben eine Umweltstiftung ins Leben gerufen, mit der gezielt Arbeitslose in grüne Berufsfelder geholt werden sollen. Sinnvoll sei auch „gezielte Weiterbildung in Berufen, in denen das Tätigkeitsspektrum um eine Umweltkomponente erweitert wird“, sagt Julia Bock-Schappelwein vom Wifo. Wer heute Öl- und Gasheizungen montiert, müsse umlernen, damit er auch bei Wärmepumpen und Erdwärme sattelfest ist. AMS-Chef Johannes Kopf wünscht sich große Aktionen auf EU-Ebene, um der Dimension der Aufgabe auch gerecht zu werden.

Aber nicht nur das. „Die Politik hat den Zusammenhang zwischen Klimapolitik und Arbeitsmarkt noch zu wenig verstanden“, sagt er. Der drohende Personalmangel ist nur einer der Stolpersteine. Ein zweiter ist die Weigerung der Politiker, sich auch die negativen Folgen der Energiewende auf den Arbeitsmarkt anzusehen. Soll der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in den nächsten zwei Dekaden gelingen, werden einige Branchen stark schrumpfen müssen. Setzt Österreich sein geplantes Verbot von Öl- und Gasheizungen durch, gehen unweigerlich Arbeitsplätze verloren. „Darüber redet natürlich niemand gern. Und deshalb passiert nichts“, sagt Kopf. Für manche Entscheidung in der Zukunft brauche es aber schon „vorab eine arbeitsmarktpolitische Antwort“. Solang nicht klar ist, wie das Auffangnetz und die Perspektive für die Arbeitslosen aus den fossilen Branchen aussehen, wird sich kein Politiker trauen, radikalere Schritte zu setzen. Jubelmeldungen über die Green Jobs von morgen bringen wenig. Finden die Regierenden nicht den Mut, offensiv und ehrlich auch auf die Verlierer der Transformation zuzugehen, bremsen sie die grüne Wende letztlich selbst aus.

matthias.auer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2022)

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