Austrian Health Forum

Die Krebsversorgung muss vielfältiger werden

Martin Gleitsmann begrüßte die 36 Workshopteilnehmer zu spannenden Beiträgen – u. a. von Erika Richtig, Ansgar Weltermann und Sonja Hrad.
Martin Gleitsmann begrüßte die 36 Workshopteilnehmer zu spannenden Beiträgen – u. a. von Erika Richtig, Ansgar Weltermann und Sonja Hrad.(c) Klaus Ranger
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Workshop. Die Anzahl der Krebspatientinnen und -patienten wächst kontinuierlich an und es braucht innovative Konzepte, um auch in Zukunft die bestmögliche und leistbare Versorgung sicherzustellen.

Rund 35 Personen nahmen am Workshop „Onkologische Versorgung nahe am Patienten. Individualisierte Behandlung am Best-Point-of-Care“ teil. Hierbei wurde aufgezeigt, dass sich der Versorgungsbedarf von Krebspatientinnen und -patienten verändert hat und daher angepasst werden muss. Mit den Fortschritten in der Medizin, neuen Technologien, innovativen Medikamenten und Therapien ist die Diagnose Krebs oft kein Todesurteil mehr und die Mehrheit der Betroffenen kann besser behandelt werden. Dadurch steigt nicht nur die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten, sondern natürlich auch die Überlebenschance und Lebenserwartung. Generell werden die Menschen immer älter. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass es für jeden Einzelnen wahrscheinlicher wird, im Laufe des Lebens an Krebs zu erkranken. Nicht nur der Kampf gegen Krebs verlangt professionelle Betreuung, auch das Leben nach dem Krebs spielt eine immer wichtigere Rolle. All diese Entwicklungen werden in Zukunft den Bedarf an onkologischer Versorgung und Betreuung erhöhen. Laut Expertenprognosen wird es in Europa im Jahr 2040 voraussichtlich um 21 Prozent mehr Krebsfälle geben als heute. Mit der gegenwärtigen Versorgungsin­frastruktur und den limitierten Ressourcen im Gesundheitswesen werden die Herausforderungen nicht zu bewältigen sein. Daher muss schon heute dringend gehandelt werden, um morgen optimal aufgestellt zu sein.

Der Workshop holte Best Practices vor den Vorhang. Regionale Konzepte, wie Patientinnen und Patienten ab dem Zeitpunkt der Diagnose bis zur Nachsorge intra- und extramural harmonisiert betreut werden können, wurden in einem Beteiligungsprozess im Vorfeld des Austrian Health Forums ausgearbeitet und beim Workshop im Congress Schladming, der von Gesundheitsexperte Martin Gleitsmann moderiert wurde, vorgestellt.

Optimal verteilen

Wie verhindert man, dass trotz steigender Patientenanzahl und höherer Nachfrage an onkologischer Versorgung das einzelne Individuum vernachlässigt wird? Spezialisierte Zentren stoßen an ihre Belastungsgrenzen. Die Flut an Patientinnen und Patienten muss kanalisiert werden, damit jede Person die individuell beste Betreuung erhält. Nicht jede Patientin und jeder Patient benötigt dieselbe Behandlung. So ist zum Beispiel davon auszugehen, dass Krebs in einigen Bereichen zu einer chronischen Erkrankung wird und Betroffene unterschiedliche Therapien benötigen. In spezialisierten Zentren werden Krebspatientinnen und -patienten akut behandelt, aber chronische Patientinnen und Patienten könnten auch außerhalb dieser spezialisierten Zentren versorgt werden. Für sie muss es Alternativen geben, die effektiver sind – Stichwort Dezentralisierung. Für die Nachsorge genügen niederschwelligere Einrichtungen, wie etwa extramurale Ambulanzen.

Gleich zwei Projekte zeigten beim Workshop gute Beispiele für ein abgestuftes Versorgungsmodell. Universitätsprofessor Felix Keil, Vorstand der 3. medizinischen Abteilung für Hämatologie und Onkologie am Hanusch-Krankenhaus, stellte den Hämatologie-Verbund Wien vor. In diesem Modell agieren die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) und das Hanusch-Krankenhaus gemeinsam mit diversen Gesundheitszentren. Insgesamt besteht der Verbund aus neun spezialisierten hämatologischen Zentren und bietet ein niederschwelliges Angebot unterschiedlicher Versorgungsmöglichkeiten: vom spezialisierten Krankenhaus bis hin zu niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Dieses Netzwerk stellt sicher, dass die Patientinnen und Patienten jederzeit gut versorgt sind, aber nicht jeder einzelne Fall im spezialisierten Zentrum erfolgen muss, sondern etwa Nachbetreuungen usw. ambulant, in einem kleineren Krankenhaus oder bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt werden können. Das spart Kosten, vor allem bei den teuren Spezialkliniken. Zum Beispiel kommt IONA, eine neue interdisziplinäre onkologische Nachsorge-Ambulanz im St. Anna Kinderspital mit deutlich geringerem Personalaufwand aus.

Das zweite vorgestellte Modell kommt aus Linz: Das Tumorzentrum OÖ ist seit vielen Jahren etabliert. Universitätsdozent Ansgar Weltermann, Leiter des Tumorzentrums und des Zentrums für Tumorerkrankungen im Ordensklinikum Linz, erklärte, dass es einen Kooperationsvertrag zwischen den verschiedenen Trägern in Oberösterreich gibt, um ein dichtes Netzwerk an Versorgungsmöglichkeiten aufzubauen und eine flächendeckende Qualität in der Onkologie zu erzielen. Kontinuierlich wird das Netzwerk vergrößert. Seit kurzem ist auch das Kepler-Uniklinikum Linz Teil des Tumorzentrums OÖ und trägt dazu bei, die Expertise und die Behandlungsmöglichkeiten weiter zu verbessen.

Zu einer Dezentralisierung bzw. Entlastung der Spezialzentren trägt auch die Telemedizin bei. Gerade die Coronakrise hat dieser neuen Technologie einen Boost verliehen und stellt eine Facette für eine ortsunabhängige, hochwertige und standardisierte Begleitung der Patientinnen und Patienten dar.

Das interessierte Publikum nahm viele Eindrücke und Anregungen mit.
Das interessierte Publikum nahm viele Eindrücke und Anregungen mit.(c) Klaus Ranger

Mehr Empathie

Im Workshop wurde auch verstärkt auf die klinische Psychologie eingegangen und darauf hingewiesen, dass die psychologische Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Krebsdiagnose oder Krebsbehandlung ernster genommen werden muss. In den gegenwärtigen Systemen sei es laut Sonja Hrad, klinische Psychologin in der Klinik Favoriten, nur rudimentär verankert. Aus dem Grund sei es wichtig, dass man in Zukunft nicht nur darauf achtet, dass psychologische Betreuung gewährleistet ist und es genügend Angebot gibt, sondern dass es auch bezahlt wird. Es würde Sinn machen, die psychologische Behandlung von Krebspatientinnen und -patienten gesetzlich im ASVG zu verankern und es zu einer Kassenleistung werden zu lassen.

Passend dazu auch der Input von Universitätsprofessorin Erika Richtig, Leiterin des Fachbereichs DermatoOnkologie an der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie der Med Uni Graz und Vorstandsmitglied der Österreichischen Krebshilfe. Sie vertrat im Workshop die Patientenperspektive, die derzeit auch häufig vernachlässigt wird. Richtig zeigte auf, dass es für viele Krebspatientinnen und -patienten auch einer finanziellen Unterstützung bedarf, wenn man durch die Erkrankung in Schieflage gerät. Es gebe zwar Angebote für Betroffene, allerdings müssten die Anlaufstellen bekannter gemacht werden, damit sie auch genutzt würden.

Schließlich wurde im Workshop auch die Gelegenheit genutzt, der onkologischen Pflege mehr Beachtung zu schenken und die spezielle Zusatzqualifikation zur Community Nurse bzw. Onko Nurse hervorzuheben. Ebenfalls ein Bereich, der heute noch nicht die entsprechende Beachtung genießt, aber in Zukunft eine wichtigere Rolle einnehmen wird, um Patientinnen und Patienten besser zu versorgen.

Synergieeffekte nutzen

Mit den dargebotenen Beispielen möchte der Workshop Anreize geben und zur Nachahme beitragen. Das Ziel wurde erreicht, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Anregungen mitnehmen konnten, um bestehende Initiativen weiterzuentwickeln oder in andere Gebiete weiterzutragen und einzuführen. Wichtig ist vor allem, dass man in vielen Bereichen erkennt, dass man nicht bei null anfangen muss, sondern schon Ansatzpunkte vorhanden sind.

Das gilt übrigens auch für die differenzierte Krebsbehandlung. Jede onkologische Station verfügt über viele Daten, aber die unterschiedlichen Zentren sind meist nicht verknüpft. Dadurch geht sehr viel Potenzial verloren. Mit einem intelligenten Datenaustausch lassen sich neue Erkenntnisse gewinnen und von den Synergieeffekten profitiert die Qualität der Onkologie. Vor allem durch Telemedizin werden zunehmend Patientendaten gesammelt, die genutzt werden könnten.
Eine gemeinsame Datenbasis ermöglicht zudem die Fairness, theoretisch allen Patientinnen und Patienten Zugang zum gleichen medizinischen Angebot zu ermöglichen. Bis hin zu deutlichen Kostenreduktionen bei der Versorgung: Denn anhand verknüpfter Daten können Schwachstellen aufgedeckt werden. Die Verantwortlichen wären in der Lage, zielgerichteter zu handeln, wenn sie genau wissen, woran es mangelt. Das Tumorzentrum OÖ ist bei diesem Thema schon sehr fortgeschritten und kann anhand von Daten wertvolle Analysen zur Krebsversorgung durchführen.

Einig waren sich die Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer: Neben einem optimierten Datenmanagement wird auch das Zusammenspiel der relevanten Player notwendig sein, um strukturelle Veränderungen zu ermöglichen.

www.bms.com

Die Expertinnen und Experten

Die Workshop-Beiträge wurden präsentiert von:

  • Felix Keil: Vorstand der 3. medizinischen Abteilung für Hämatologie und Onkologie am Hanusch-Krankenhaus
  • Ansgar Weltermann: Leiter des Tumorzentrums Oberösterreich und des Zentrums für Tumorerkrankungen im Ordensklinikum Linz
  • Sonja Hrad: klinische Psychologin, Klinik Favoriten
  • Anabel Schönmetzler: stv. ärztliche Leiterin des Mein Gesundheitszentrums Landstraße der Österreichischen Gesundheitskassa
  • Herwig Ostermann: Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH
  • Erika Richtig: Leiterin der DermatoOnkologie an der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie der Med Uni Graz und Vorstandsmitglied der Österreichischen Krebshilfe

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Großes Interesse gab es für den Workshop, in dem Vorteile, Bewertung und Finanzierung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DIGA) diskutiert wurden.
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