Der ökonomische Blick

Erbschaftssteuern als wirksames Instrument gegen Vermögensungleichheit

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SeniorenDie Presse (Clemens Fabry)
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Der Rückgang der Erwerbsbevölkerung stellt die öffentlichen Finanzen vor große Herausforderungen. Alternativen zur Besteuerung des Faktors Arbeit sind gefragt.

Europa altert, was nicht nur die Pensionssysteme, sondern auch die Steuersysteme und die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates vor Herausforderungen stellt. In vielen EU-Mitgliedstaaten scheidet demnächst die Generation der Babyboomer aus dem Erwerbsleben aus, so dass der Anteil älterer Menschen deutlich zunehmen wird. Dies wird zu einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung führen, wodurch der Anteil der Arbeit am Gesamteinkommen weiter sinken wird (siehe z. B. IWF, 2017). Diese Entwicklungen stellen die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in Frage und erfordern Alternativen zur Besteuerung des Faktors Arbeit.

Gleichzeitig kann die Akkumulation und Wertsteigerung von Vermögen zu einem höheren durchschnittlichen Nettovermögen führen. In Verbindung mit der demografischen Dynamik, die die Zahl der Sterbefälle erhöht, sind sowohl mehr als auch größere Erbschaften zu erwarten. Eine stärkere Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen ist daher nicht nur aus fiskalischen Gründen, sondern auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit und Effizienz eine viel­ver­sprechende Option. Die Besteuerung vor allem hoher Erbschaften kann ein wirksames Instrument zur Förderung der sozialen Mobilität und der Chancengleichheit sowie zur Verringerung der Vermögensungleichheit sein.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Mehr Vermögensübetragungen, niedrige Geburtenraten

Nach unseren Simulationen für fünf ausgewählte EU-Länder mit INTAXMOD-Modell steigt das Volumen der Vermögenstransfers zwischen 2020 und 2050 erheblich an. Die Vermögensübertragungen in Deutschland, Italien, Frankreich, Finnland und Irland werden danach zwischen 75 Prozent und 225 Prozent zunehmen. Hinzu kommt, dass niedrige Geburtenraten die durchschnittliche Zahl der Nachkommen verringern, was die Ungleichheit verstärken könnte.

Derzeit sind die Einnahmen aus der Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen in den meisten EU-Mitgliedstaaten gering. Unsere Simulationen legen nahe, dass das Erbschaftssteueraufkommen in allen fünf Ländern in den folgenden Jahrzehnten bei unveränderten Erbschaftssteuersystemen erheblich steigen wird. Das Erbschaftssteueraufkommen in Frankreich und Deutschland wird 2050 doppelt so hoch sein wie 2020, während sich das Aufkommen in Italien und Finnland bereits bis 2040 verdoppeln wird. Die größere irische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Verbindung mit einem dynamischen Vermögenswachstum führt zu einem steilen Anstieg des Erbschaftsteueraufkommens: Es wird sich bis 2030 verdoppeln und bis 2050 auf mehr als das Vierfache des Wertes von 2020 ansteigen.

Verschiedene Szenarien

Unsere Simulationen vergleichen die Auswirkungen von drei alternativen Erbschafts­steuerszenarien mit dem 2020 geltenden Steuersystem (Basisszenario). In jedem Szenario werden progressive Steuersätze angewendet: 10 % auf die ersten 200.000 Euro, 15 Prozent bis 500.000 Euro und 20 Prozent auf den verbleibenden Anteil. Die Szenarien unterscheiden sich in Bezug auf Steuerbefreiungen: (1) keine Steuerbefreiung: die Steuerbemessungsgrundlage ist der volle Marktwert einer Erbschaft, (2) die ersten 500.000 Euro sind für nahe Verwandte (Kinder und Partner des Schenkers/Testators) steuerfrei, und (3) ein vollständiger Abzug für den Hauptwohnsitz und das Betriebsvermögen.

Auf Basis des geltenden Erbschaftssteuersystems reichen die durchschnittlichen Steuersätze (gezahlte Erbschaftssteuer bezogen auf das Gesamtvolumen des geerbten Vermögens) von unter einem Prozent in Italien bis zu etwa sieben Prozent in Finnland und Frankreich. Deutschland (vier Prozent) und Irland (drei Prozent) liegen dazwischen. Die effektive Erbschaftssteuerbelastung unterscheidet sich in den einzelnen Ländern vor allem aufgrund der nationalen Bewertungsvorschriften, die Teile der Erbschaft effektiv von der Steuer befreien, und weniger aufgrund der unterschiedlichen Steuersätze. Der verschwindend geringe Durchschnittssteuersatz in Italien beispielsweise ist neben den niedrigen Steuersätzen vor allem auf hohe Freibeträge und großzügige Bewertungsregeln für Vermögenswerte zurückzuführen.

Für das erste progressive Steuerszenario, bei dem kein Steuerfreibetrag berücksichtigt wird, liegen die durchschnittlichen Steuersätze zwischen elf und dreizehn Prozent, das Steueraufkommen würde sich in allen Ländern deutlich erhöhen. Das zweite Szenario, das einen persönlichen Freibetrag von 500.000 Euro vorsieht, führt in allen Ländern zu einer drastischen Senkung der durchschnittlichen Steuersätze, auf zwei bis fünf Prozent. Das dritte Szenario (vollständiger Abzug des Hauptwohnsitzes und des Betriebsvermögens des Haushalts) führt ebenfalls zu geringeren Steuereinnahmen als Szenario eins. Allerdings wären die durchschnittlichen Steuersätze mit fünf bis acht Prozent höher als im zweiten Szenario.

Gut geeignetes Instrument

Insgesamt legen die INTAXMOD-Simulationsergebnisse nahe, dass angesichts der Alterung und des sinkenden Anteils der Arbeit am Gesamteinkommen Erbschaften eine gut geeignete alternative Steuerbasis zur nachhaltigen Finanzierung des Wohlfahrtsstaates sein könnten. In den fünf ausgewählten Ländern simulieren wir einen Anstieg des geerbten Vermögens um das Zwei- bis Viereinhalbfache bis 2050. Gleichzeitig wird die Zahl der Begünstigten abnehmen.

Die Simulationen zeigen auch die Bedeutung von Freibeträgen und Abzügen. Ein persönlicher Steuerfreibetrag oder die Befreiung bestimmter Vermögenswerte, wie etwa des Hauptwohnsitzes, senkt das Gesamt­steueraufkommen erheblich. Andererseits würden solche Abzüge die öffentliche Unterstützung für Erbschaftssteuern, deren Akzeptanz in den meisten Ländern relativ gering ist, erhöhen.

Der Beitrag beruht auf Alexander Krenek, Margit Schratzenstaller, Klaus Grünberger, Andreas Thiemann, INTAXMOD – Inheritance and Gift Taxation in the Context of Ageing, WIFO Working Papers, 2022, Nr. 645.

Die Autoren

Margit Schratzenstaller ist Senior Economist im Bereich Öffentliche Finanzen am WIFO und Mitglied im Fiskalrat.

Alexander Krenek ist policy advisor im Europäischen Parlament. Die dem Artikel zu Grunde liegende Forschung ist in seiner Zeit am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) entstanden.

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