Schutzgebiete

Wo eingewanderte Pflanzen Natur und Fischerei bedrohen

Äthiopiens größter See ist zugleich Afrikas höchstgelegener: Lake Tana auf 1786 Metern.
Äthiopiens größter See ist zugleich Afrikas höchstgelegener: Lake Tana auf 1786 Metern. Getty Images
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Die FH Kärnten kooperiert mit der äthiopischen Bahir-Dar-Universität: Die Teams finden heraus, wie man das große Biosphärenreservat am Tanasee optimal managen und invasive Arten dokumentieren kann.

Vielen ist der Lake Tana höchstens als Antwort auf die Quizfrage „Wo beginnt der Blaue Nil?“ bekannt. Doch das Team von der FH Kärnten kennt die Region im nordwestlichen Hochland von Äthiopien richtig gut. Der 3000 km2 große Tanasee speist nicht nur den längsten Fluss der Welt, sondern hat durch seine Wasserreserven auch Auswirkungen auf Äthiopiens Nachbarländer wie Sudan und Eritrea. Michael Jungmeier mag diese Gegend, seit er im Jahr 2007 die Möglichkeit hatte, für die Unesco (UNO-Organisation für Wissenschaft, Bildung und Kultur) die Auswahl von Regionen zu unterstützen, die sich für neue Biosphärenparks eignen. „Beispiele waren der Tanasee und die Kaffa-Provinz im Südwesten des Landes“, sagt Jungmeier, der an der FH Kärnten den Unesco-Lehrstuhl für „Management of Conservation Areas“ innehat. „Unsere Aufgabe damals war von der Michael-Succow-Stiftung initiiert, und mehrere Projekte der Deutschen Entwicklungszusammenarbeit folgten. Daran knüpfen wir nun an“, erklärt Jungmeier das aktuelle Projekt, das im Rahmen von Africa-UniNet vom OeAD (Agentur für Bildung und Internationalisierung) finanziert wird.

Treffen mit äthiopischen Forschenden

Jungmeier besuchte seither Äthiopien regelmäßig und arbeitet mit Forschungseinrichtungen zusammen. An dem Tag des Interviews mit der „Presse“ trafen gerade Kolleginnen und Kollegen von der Bahir-Dar-Universität in Villach ein und setzten sich nach der langen Reise sogleich vor den Computer, um über die Zusammenarbeit namens „Collaborative Monitoring for Sustainable Development of Lake Tana Unesco Biosphere Reserve“ zu berichten.

„Die Auswirkungen des Klimawandels spüren wir in der Region nicht nur durch steigende Temperaturen, sondern auch durch die schwer vorhersehbaren Änderungen desNiederschlags“, sagt Daniel Mengistu, Leiter des Geospatial Data and Technology Center an der Bahir-Dar-Universität in der Hauptstadt der äthiopischen Region Amhara. Die Jahreszeiten verschieben sich, und die Niederschlagsmenge steigt bei Extremwetter-Ereignissen. „Das Problem verstärkt sich in Kombination mit geänderter Landnutzung und zu viel Nährstoffeintrag in den See“, sagt Mengistu.

Eine relativ neue Bedrohung stellt die eingewanderte Wasserpflanze Eichhornia crassipes dar, die Dickstielige Wasserhyazinthe, die 2011 erstmals im Tanasee zu wachsen begann. Die hübsch blühende Pflanze mit großen Blättern an der Wasseroberflächestammt aus Südamerika und ist bei uns als Zierpflanze beliebt. In Afrika zählt sie zu den gefährlichen invasiven Spezies, deren Auftreten Ökosysteme verändern kann.

Die Dickstielige Wasserhyazinthe wuchert erst seit 2011 im Tanasee.
Die Dickstielige Wasserhyazinthe wuchert erst seit 2011 im Tanasee.Getty Images

Hübsche Blüten, aber invasive Art

„Die Pflanze vermehrt sich sehr schnell, verbreitet sich über das Wasser und ist ein Globalisierungsphänomen“, sagt Jungmeier. Wo die Wasserhyazinthen wuchern, wird dem Wasser Sauerstoff entzogen, worunter die Fische und andere Lebewesen leiden. Die Fischerei wird auch ganz profan dadurch belastet, dass die Pflanzenteppiche Wasserfahrtwege blockieren und Netze verstopfen. Darum muss nun das Auftreten dieser Wasserpflanzen in Äthiopien gut dokumentiert werden: Bisher geschah das über Satellitenbilder aus dem EU-Copernicus-Programm, bei dem die Fotos der Sentinel-Satelliten frei downloadbar sind. „Doch wir brauchen auch beweisgestützte Daten am Boden, vor Ort“, sagt Melanie Erlacher, die das Projekt an der FH Kärnten koordiniert. Der neueste Stand der Technik sind mobile Datenerhebungen mit Smartphones oder Tablets. „Wir nutzen das gut erprobte System namens Smart, eine Abkürzung für ,Spatial Monitoring and Reporting Tool‘“, sagt Erlacher, die auf Erfolge dieser App bei der Dokumentation von Wildtieren verweist. Die Kooperation von Villach und Bahir Dar münzt diese App auf Wasserpflanzen um.

Neue App statt Papier und Bleistift

Bisher testen Forschende in den äthiopischen Research Centers diese Anwendung für den Lake Tana. Das Projekt sucht aber nach Möglichkeiten, die App für die Behörden vor Ort zugänglich zu machen und schlussendlich auch die Fischer und Gemeinden damit auszustatten. „Davor arbeiteten die Menschen im Monitoring mit GPS-Geräten und analog mit Papier und Bleistift“, sagt Erlacher. Doch das reicht nicht, betont Jungmeier, der sich in der Ausbildung der Studierenden im Masterlehrgang „Management of Conservation Areas“ der Frage widmet, wie man große Schutzgebiete heute korrekt managen kann. Die Smart-App vereint alle Daten digital und zentral, sie kann ein gutes Vorbild für andere Schutzgebiete und Beobachtungsdaten sein. Durch die übersichtliche Dokumentation sehen die Verantwortlichen, wo die Wasserhyazinthe wie stark wächst und auf welche Maßnahmen sie reagiert. „Wir zielen darauf ab, nicht wissenschaftliche Akteure ins Monitoring einzubinden, im Sinne von Citizen Science“, sagt Melanie Erlacher.

Michael Jungmeier betont dazu: „Unsere Projekte haben die Nachhaltigkeitsziele der UNO, die Sustainable Development Goals, im Fokus. Vielen dieser 17 SDG liegt der Gerechtigkeitsgedanke zugrunde. In dem Projekt stehen die Ziele Nr. 14, Leben unter Wasser, und Nr. 15, Leben an Land, im Vordergrund.“ Dem Forscher liegen der weitere Aufbau und die Erhaltung von Unesco-Biosphärenparks und -reservaten am Herzen.

Jedes Schutzgebiet hat seine Eigenheiten

„Nachhaltige Entwicklung heißt ja überall auf der Welt etwas anderes. Wenn man die Biosphärenparks am Tanasee mit denen auf den Nockbergen in Kärnten und dem im Wienerwald vergleicht, findet man viele Unterschiede“, so Jungmeier. Nicht nur die Vegetationen – der Buchenwald im Wienerwald oder die alpinen Wälder der Nockberge – sind völlig verschieden von jener um den Tanasee auf 1786 Meter Seehöhe, auch die Situation der Gemeinden ist wirtschaftlich, sozial und ökologisch eine ganz andere.

„Diese große Wasserfläche, die für so viele Menschen eine Lebens- und Ernährungsgrundlage bietet, sorgt im Biosphärenreservat rund um die Stadt Bahir Dar für spezielle Voraussetzungen, die für uns wissenschaftlich spannend sind“, sagt Jungmeier. Der Biosphärenpark Wienerwald reicht zwar auch bis in die Stadt, fast bis zum Wiener Gürtel, hinein – „aber die Ausprägungen des Schutzgebietes in Äthiopien sind ganz anders. Wir forschen auch an der permanenten Weiterentwicklung der Definition von nachhaltiger Entwicklung und daran, wie man diese in den 700 Unesco-Biosphären-Gebieten von der Arktis bis zur Südsee am besten umsetzen kann.“

IN ZAHLEN

17Prozent der Erdoberfläche stehen derzeit unter Naturschutz in Form von Nationalparks oder Biosphärenreservaten. In der EU liegt der Wert mit 23 Prozent noch höher.

900 Unesco-Lehrstühle
gibt es weltweit. Davon beschäftigen sich etwa 20 mit Umweltthemen, wie auch der von Michael Jungmeier an der FH Kärnten.

70 Kilometer
lang und bis zu 65 km breit ist der Tanasee, dessen tiefste Stelle nur 14 Meter misst. Hier beginnt der Blaue Nil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2022)

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